Endstation Nippes
sich nicht, geschweige denn bei dreißig Grad im Schatten. Rosa wusste es wenigstens zu schätzen und drehte schnurrend drei Runden um meine Beine, bevor sie sich auf den Teller stürzte. Ich legte Amy Winehouse auf, schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Warum war die Frau nicht gekommen? Ich kannte sie nur vom Telefon, sie war überaus freundlich gewesen, sofort bereit, mit mir zu reden, und hatte dann diesen unmöglichen Treff am Info-Point vorgeschlagen.
Rosa sprang auf meine Brust und hauchte mir ihren Blutige-Leber-Atem ins Gesicht. Ich schubste sie runter. Sie drehte mir ihren Allerwertesten zu und stolzierte aus dem Zimmer. Schon seltsam, überlegte ich. Da recherchiere ich gerade für eine Sendung über Pflegekinder, will eine Pflegemutter treffen, die kommt nicht, aber dafür bettelt mich ein Trebekid an.
Mein Rechner machte pling – eine neue Mail. Ich stand auf und sah nach. »Ich konnte mir bisher nie so recht vorstellen, was mit dirty talking gemeint ist«, schrieb mein Liebster. »Aber jetzt ahne ich, was dirty writing bedeutet.« Ich klickte auf »Antworten«: »Das mit dem dirty talking bringe ich dir auch noch bei.«
Wir sind noch nicht so lange zusammen, dass er schon all meine Abgründe ausloten kann.
Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Jungen. Ich werde ständig angebettelt, irgendwie merken sämtliche Schnorrer, dass bei mir etwas zu holen ist. Und ich habe ja auch immer meine Bettler-Groschen in der Jackentasche. Schließlich bin ich Bodhisattva-Azubi. Und ein Bodhisattva zeichnet sich durch vollkommene Weisheit und grenzenloses Mitgefühl aus. Das mit der Weisheit klappt bei mir noch nicht so wahnsinnig gut, das mit dem Mitgefühl schon eher. Zumindest für die Outcasts, Outlaws und Loser dieser Welt. Und ganz besonders für Penner, Junkies und Co. Bei meiner Schwägerin und anderen, die sich für etwas Besseres halten, versagt es allerdings. Da arbeite ich noch dran. Was mich irritierte, war, dass der Junge mich gebeten hatte, ihm etwas zu essen zu kaufen. Ich beschloss, nach nebenan zu gehen und meine Nachbarinnen zu konsultieren. Die kennen sich mit Trebekids besser aus als ich.
Sie saßen in der Küche und spielten Poker. Hertha hat Nele inzwischen beigebracht, perfekt zu bluffen, mit dem Effekt, dass sie seither auch mal ein Spiel verliert. Nele legte gerade ein Full House ab. Hertha schüttelte den Kopf.
»Die spielt mit gezinkten Karten«, sagte sie in meine Richtung, »anders kann ich mir das nicht erklären.«
Nele grinste zufrieden. Vor ihr auf dem Tisch lag eine rote Karte. Erst wunderte ich mich, was die zu bedeuten hatte, dann fiel es mir ein, und ich gab mir alle Mühe, nicht loszuprusten. Als Nele bei Hertha einzog, hatten wir eine Hausordnung erstellt: »Keine Drogen, keine Besucher, die Drogen dabeihaben, bei Beikonsum rote Karte. Bei wiederholtem Beikonsum Rausschmiss.« Damals hatten wir das durchaus ernst gemeint. Inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher, ob Hertha Nele wirklich rauswerfen würde.
Ich setzte mich mit an den Tisch und erzählte ihnen von dem Jungen.
»Komisch«, sagte Nele. Hertha nickte.
»Also ‘n Junge, der auf Trebe ist, der würd nicht auf die Tour schnorren«, erklärte mir Nele. »Der würd vielleicht sagen, keine Ahnung, so: ›Ich hab das Fahrgeld verloren und muss zu meiner Omi‹, oder so. Halt irgendwie tricksen. Aber der würd nicht zugeben, dass er Hunger hat. Weil, du könntest ja die Bullen rufen.«
Das leuchtete mir ein. »Aber warum hat er’s dann gemacht?«
»Keine Ahnung.« Nele mischte die Karten neu. Sie war offenbar nicht zu Gesprächen aufgelegt.
Hertha warf mir einen langen Blick zu. »Wir kochen heut Abend.«
Das war eine Einladung. Ich lehnte sie ab. Ich war schon mit meinem Liebsten verabredet, und eine Konfrontation zwischen Mister Drogentherapeut und Miss Beikonsum war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte.
»Ich geh mal wieder rüber«, verkündete ich. »Einer muss ja die Brötchen verdienen.«
Hertha und Nele stöhnten im Duett.
Ich rief die Website von »Auf Achse« auf und schrieb ihnen eine Mail. Von wegen: Könnt ihr mir ein paar Infos über Trebekids geben? Dann rief ich Frau Lanzing im Jugendamt an. Sie hatte mir einmal – anonym – ein gutes Interview gegeben, für eine Sendung über misshandelte Kinder. Das war kurz nach dem Tod des kleinen Kevin in Bremen gewesen, das Jugendamt hatte allen Mitarbeitern einen Maulkorb verpasst, aber die Frau hatte trotzdem mit mir geredet.
Weitere Kostenlose Bücher