Endstation Venedig
Bewegung nur aus den Augenwinkeln.
Er fragte, wenn auch nur noch der Form halber: Ist es Sergeant
Foster?
Ja, er ist es , antwortete sie ohne Zögern, aber er merkte, daß sie Mühe hatte, ruhig und gelassen zu sprechen. Selbst ihr Gang war steifer als beim Hineingehen, als ließe sie sich ihre Bewegungen nur noch von der Uniform vorschreiben.
Sie verließen den Friedhof durchs Tor, und Brunetti führte sie hinüber zum Landesteg, wo Monetti das Boot festgemacht hatte. Er saß in der Kabine und las Zeitung. Als er sie kommen sah, faltete er diese zusammen und ging zum Heck, wo er an der Anlegeleine zog, um das Boot so nah ans Ufer zu bringen, daß sie leicht an Bord konnten.
Diesmal sprang sie zuerst aufs Boot und ging sofort die Treppe hinunter in die Kabine. Brunetti blieb nur lange genug stehen, um Monetti zuzuflüstern:
Lassen Sie sich soviel Zeit wie möglich für den Rückweg , dann folgte er ihr.
Sie saß jetzt weiter vorn, mit Blick aus den vorderen Fenstern der Kabine. Die Sonne war schon untergegangen, und der Himmel war kaum mehr hell genug, um noch viel von der Silhouette der Stadt zu ihrer Linken erkennen zu können. Er setzte sich ihr gegenüber und sah, wie aufrecht und starr sie dasaß.
Es sind noch etliche Formalitäten zu erledigen, aber ich nehme an, daß wir die Leiche morgen freigeben können.
Sie nickte, um anzuzeigen, daß sie ihn gehört hatte.
Was wird die Army tun?
Wie bitte?
Was tut die Army in so einem Fall?
wiederholte er.
Wir schicken die Leiche nach Hause, zu seiner Familie.
Nein, das meine ich nicht. Ich meine die Untersuchung des Falles.
Bei diesen Worten drehte sie sich um und sah ihm in die Augen.
Er hielt ihre Verwirrung für gespielt.
Ich verstehe nicht. Was für
eine Untersuchung?
Um herauszufinden, warum er umgebracht wurde.
Aber ich dachte, es war Raubmord , sagte sie.
Vielleicht , meinte er.
Aber ich bezweifle es.
Sie wandte den Kopf ab, als er das sagte, und starrte aus dem Fenster, doch die Nacht hatte das Panorama von Venedig verschluckt, und sie sah nur ihr eigenes Spiegelbild.
Darüber weiß ich nichts , sagte sie mit Nachdruck.
Für Brunetti klang es so, als glaubte sie, wenn sie es nur oft und eindringlich genug wiederholte, würde es wahr.
Was war er für ein
Mensch?
fragte er.
Einen Augenblick antwortete sie nicht, aber als sie es dann tat, fand Brunetti ihre Antwort eigenartig.
Aufrichtig. Er war ein auf-
richtiger Mensch.
Es war eine merkwürdige Aussage über einen so jungen Mann. Er wartete, ob sie noch mehr sagen würde. Als sie es nicht tat, fragte er:
Wie gut haben Sie ihn gekannt?
Er beobachtete ihr Gesicht nicht direkt, sondern dessen Spiegelbild in der Fensterscheibe des Bootes. Sie weinte nicht mehr, doch in ihren Zügen hatte sich eine tiefe Traurigkeit eingenistet. Sie holte tief Luft und antwortete:
Ich kannte ihn sehr gut.
Doch dann
veränderte sich ihr Ton, wurde lässiger und beiläufiger.
Wir haben
ein Jahr lang zusammen gearbeitet.
Und mehr sagte sie nicht.
Worin bestand denn seine Arbeit? Captain Duncan sagte, er war Gesundheitsinspektor, aber ich habe eigentlich keine Ahnung, was das heißen soll.
Sie sah, daß ihre Blicke sich im Fensterglas trafen, und drehte sich zu ihm um.
Er mußte unsere Wohnungen inspizieren. Die, in denen wir Amerikaner wohnen, meine ich. Oder wenn es irgendwelche Beschwerden von Vermietern über die Mieter gab, mußte er ihnen nachgehen.
Und sonst?
Er mußte zu den Botschaften fahren, für die unser Krankenhaus zuständig ist. Nach Kairo, Warschau und Belgrad, um die Küchen zu überprüfen, ob sie sauber sind.
Dann war er also viel auf Reisen?
Ziemlich viel, ja.
Hat er seine Arbeit gern gemacht?
Ohne Zögern und mit großem Nachdruck sagte sie: O ja. Er
fand sie sehr wichtig.
Und Sie waren seine Vorgesetzte?
Ihr Lächeln war kaum erkennbar.
So könnte man es wohl nen-
nen. Ich bin eigentlich Kinderärztin; sie haben mir diese Stellung im Gesundheitswesen nur übertragen, um bei Bedarf über die Unterschrift eines Offiziers und eines Arztes zu verfügen. Er hat das Büro fast ganz allein geführt. Gelegentlich gab er mir etwas zu unterschreiben oder bat mich, irgendwelche Dinge zu bestellen. Vieles wird schneller erledigt, wenn ein Offizier es anfordert.
Sind Sie je zusammen zu den Botschaften gereist?
Ob sie seine Frage seltsam fand, konnte er nicht erkennen, denn sie wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster.
Nein, Ser-
geant Foster ist immer allein
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