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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaya
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war. Er fuhr ängstlich und schlecht, langsam aus Vorsicht, und regte sich allzu oft über dieselben Irren auf, die Sorte, die Autos lenkte, nicht Boote.
    Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich nach San Silvestro zu bringen?
    fragte er.
    Ich lasse Sie direkt am Ende der Calle aussteigen, Commissario, wenn Sie wollen.
    Danke, Monetti, gern.
    Brunetti zog die Leine mit einem Ruck über den Pfahl und legte sie sorgfältig um den Metallpfosten an der Seite des Bootes. Dann ging er nach vorn und stellte sich neben Monetti, während sie den Canal Grande hinauffuhren. Wenig von dem, was an diesem En-de der Stadt zu sehen war, interessierte Brunetti. Sie ließen den Bahnhof hinter sich, ein Gebäude, das durch seine Trostlosigkeit überraschte.
    Wie viele Venezianer hatte Brunetti stets ein Auge für seine Stadt. Oft fiel ihm ein Fenster auf, das er noch nie bemerkt hatte, oder die Sonne erhellte einen Bogengang, und dann zog sich ihm richtiggehend das Herz zusammen, als Reaktion auf etwas, das weit vielschichtiger war als bloße Schönheit. Wenn er darüber nachdach-te, kam er zu dem Schluß, daß es etwas mit dem Dialekt zu tun haben mußte, den man hier sprach, mit der Tatsache, daß nicht einmal achtzigtausend Menschen in dieser Stadt lebten, und vielleicht damit, daß er in einem Palazzo aus dem fünfzehnten Jahrhundert in den Kindergarten gegangen war. Wenn er woanders war, fehlte die Stadt ihm auf dieselbe Weise, wie ihm Paola fehlte, und er fühlte sich nur vollständig und ganz, wenn er hier war. Während sie den Kanal hinaufbrausten, genügte ein Blick in die Runde, um den tiefe-ren Sinn all dessen zu beweisen. Er hatte nie mit jemandem darüber gesprochen. Kein Fremder würde es verstehen; und jeder Venezianer würde es überflüssig finden.
    Kurz nachdem sie unter der Rialtobrücke durchgefahren waren, lenkte Monetti das Boot nach rechts. Am Ende der langen Galle, die zu Brunettis Haus führte, schaltete er in den Leerlauf und hielt das Boot kurz am Ufer an, um Brunetti an Land springen zu lassen.
    Noch bevor Brunetti sich umdrehen und dankend die Hand heben konnte, war Monetti schon wieder davon und schwenkte das Boot mit blinkendem Blaulicht in die Richtung, aus der sie gekommen waren, auf dem Weg nach Hause zum Essen.
    Brunetti ging mit müden Beinen die Calle entlang; er hatte das Gefühl, den ganzen Tag von einem Boot aufs andere gesprungen zu sein, seit ihn vor zwölf Stunden das erste hier abgeholt hatte. Er öffnete die große Tür des Hauses und schloß sie leise hinter sich.
    Das schmale Treppenhaus, das sich in Haarnadelkurven bis oben wand, wirkte wie ein perfekter Schalltrichter, und man hörte noch vier Treppen höher, wenn die Haustür zufiel. Vier Treppen. Der Gedanke machte ihm zu schaffen.
    Als er die letzte Biegung des Treppenhauses erreicht hatte, roch er die Zwiebeln, was ihm das Erklimmen der restlichen Stufen sehr erleichterte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, bevor er den Schlüssel ins Schloß steckte. Halb zehn. Chiara würde noch wach sein, so daß er ihr wenigstens einen Gutenachtkuß geben und sie fragen konnte, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Bei Raffaele, falls er da war, konnte er ersteres kaum riskieren, und letzteres wäre sinnlos.
    Ciao, papà , rief Chiara aus dem Wohnzimmer. Er hängte sein Jackett in den Schrank und durchquerte den Flur. Chiara lümmelte in einem Sessel und blickte von einem Buch hoch, das aufgeschlagen auf ihrem Schoß lag.
    Beim Eintreten knipste er automatisch den Strahler über ihr an.
    Willst du blind werden?
    fragte er zum siebenhundertsten Mal.
    Ach, papà, ich sehe genug zum Lesen.
    Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange, die sie ihm hinhielt.
    Was liest du denn da, mein Engel?
    Mamma hat es mir gegeben. Es ist fabelhaft. Es handelt von einer Gouvernante, die bei einem Mann arbeitet, und dann verlieben sie sich, aber er hat diese verrückte Frau, die auf dem Dachboden eingesperrt ist, und kann sie nicht heiraten, obwohl sie sich echt lieben. Ich bin gerade an der Stelle, als ein Feuer ausbricht. Ich hoffe, sie verbrennt.
    Wer, Chiara?
    fragte er.
    Die Gouvernante oder die Ehefrau?
    Die Ehefrau natürlich, Dummerjan.
    Warum?
    Damit Jane Eyre , sagte sie, wobei aus dem Namen Haschee wurde,
    endlich Mr. Rochester heiraten kann , dessen Namen sie ebenso Gewalt antat.
    Er wollte weiter fragen, aber sie war schon wieder bei ihrem Feuer, also ging er in die Küche, wo er Paola über die offene Tür der Waschmaschine gebeugt

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