Engel der Finsternis (German Edition)
Sein Auftrag bestand nicht darin, Menschen für ihre Liebe zu bestrafen, sondern für ihre Sündhaftigkeit. Franzis Wunsch, ihn glücklich zu machen, war ebenso wenig eine Sünde wie ihre kindliche Sehnsucht nach Geborgenheit und Verständnis. Wenn sie nach ihm rief, weil sie ihre lieblose Stiefmutter und ihre bösartige Stiefschwester dazu bringen wollte, sie endlich zu akzeptieren, war das kein Verstoß gegen den Willen Gottes. Sie bat Meresin schließlich nicht um Zauberkräuter oder magische Tränke, so wenig wie sie geheime Beschwörungsformeln von ihm haben wollte, um die Sinne dieser beiden Furien zu verwirren. Sie fragte ihn nur um Rat. Franzi wollte wissen, was sie selbst tun könnte, um es den beiden recht zu machen. Sie wollte aus eigener Kraft die Zuneigung dieser herzlosen Weiber gewinnen.
Meresin war von Anfang an nicht bereit gewesen, sie dafür zu ewigen Höllenqualen zu verurteilen. Er hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn machte, sich um die Liebe und das Vertrauen von Heidrun und Walburga zu bemühen. Meresin hatte sie zu trösten versucht in ihrer Verzweiflung. Nun liebte sie ihn - den Dämon in Engelsgestalt. Das Ungeheuer, das gekommen war, um sie zu vernichten.
Meresin warf einen kurzen Blick auf Agreas, der neben ihm stand und ungeduldig auf das Erscheinen der Gräfin wartete. Ihm bedeutete das Leben dieser Frau nicht das Geringste. Ihre Schmerzen belustigten ihn. So wie ihr Verlangen nach seinem Körper ihn erheitert hatte. Ihre verzweifelten Hilfeschreie in den letzten Monaten hatten ihm Vergnügen bereitet. Die meisten der gefallenen Engel waren wie Agreas. Sie labten sich an der Hilflosigkeit und dem wachsenden Entsetzen ihrer Opfer, sobald diesen klar wurde, dass sie betrogen worden waren. Agreas oder Balam würden keinen Augenblick zögern, wenn sie an seiner Stelle wären. Daran bestand kein Zweifel. Aber wie sollte Meresin verhindern, dass Franzi ihnen in die Hände fiel?
„Meresin!“ Agreas riss ihn aus seinen Gedanken. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. Die Gräfin wankte herein und musste von zwei Frauen gestützt werden. Ihr Kleid war blutbefleckt. Die Geburt hatte bereits begonnen.
Die Frauen brachten sie zu ihrem Bett, das mit weißen Tüchern bedeckt worden war. Die Gräfin war sichtlich kaum noch in der Lage sich zu bewegen. Sie schrie bei jeder Bewegung. Niemand durfte sie anfassen. Auf Anweisung der Hebamme ignorierten die erschreckten Mägde und Kammerfrauen die Befehle ihrer Herrin.
„Hört nicht auf das, was sie sagt!“, befahl die Hebamme und krempelte sich die Ärmel hoch. „Bis ihr Kind geboren ist, werdet ihr nur tun, was ich sage.“
Die Frauen nickten stumm und schnappten sich die Arme und Beine der Gebärenden, als diese anfing, wie wild um sich zu schlagen.
„Lasst mich los!“, kreischte sie. „Ich lasse euch alle auspeitschen, ihr werdet gerädert und gevierteilt! Konrad!“
Je mehr sie schrie und sich zur Wehr setzte, desto fester packten die Frauen zu. Meresin schaute in die entsetzten Gesichter, als die Hebamme das Kleid der Gräfin über ihre Hüften nach oben schob und den gewaltigen Bauch freilegte. Der Engel verzog keine Miene. Den Frauen trat der Schweiß auf die Stirn. Nicht weil es so warm war, sondern weil die Gräfin immer mehr Blut verlor. Man konnte bereits den Kopf des Kindes erkennen.
„Licht! Wasser!“, schrie die Hebamme. „Bring mir heißes Wasser!“ Sie zeigte auf Franzi, die reglos neben der Tür stand, die Hände vor dem offenen Mund gefaltet. „Du! Hörst du nicht, was ich sage?“
Franzi und zwei andere Mägde rannten so schnell sie konnten zur Treppe. Als sie schon einige Stufen nach unten gehastet waren, hielt Franzi plötzlich inne.
„Wartet!“, rief sie den beiden anderen zu. „Das Badewasser des Grafen, das geht schneller!“
Die Mägde folgten Franzi und rannten schnaufend mit gerafften Kleidern die Treppe wieder hoch. Ohne nachzudenken riss Franzi die Tür zu den Gemächern des Grafen auf und wollte schon zu den leeren Eimern laufen, die neben seinem Bett standen, als ihr plötzlich klar wurde, was sie gerade getan hatte. Sie hatte nicht nur vergessen, in wessen Gemach sie eben gestürzt war, sondern auch wer sich bei ihm befand. Nun konnte sie ihren Fehler nicht wieder gut machen. Die beiden Mägde standen bereits hinter ihr und starrten mit großen Augen auf den nackten, sich heftig auf und ab bewegenden Hintern des Grafen.
Weder Konrad noch die unter ihm liegende Walburga
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