Engel der Finsternis (German Edition)
erahnen, geschweige denn sehen konnte … Agreas hatte die Seele der Gräfin bereits vor sich zu Boden geworfen und ihr seinen klobigen Fuß in den Nacken gestellt.
4. Kapitel
Meresin ließ Franzi nicht aus den Augen. Wie alle anderen Anwesenden konnte sie weder ihn noch Balam oder Agreas sehen. Sie sah nur das schreiende Kind, das gerade von der Amme gewaschen wurde, und die tote Mutter, der die Hebamme Mund und Augen schloss, ehe sie ihren Körper bedeckte. Kaplan Hieronymus schob seinen beleibten Körper an Franzi vorbei in den Raum, gefolgt von Graf Konrad. Dem war die Lust auf Franzis Stiefschwester vergangen, als er gehört hatte, was sich im Raum nebenan abspielte. Eine der Frauen hatte ihm bereits zugetragen, welchen Namen die Gräfin kurz vor ihrem Ende geschrien hatte. Da er um sein Gebrechen wusste, hatte er schon seit langem den Verdacht gehegt, dass sie ihn hintergangen haben musste. Mit geballten Fäusten stand er am Bett seiner Ehefrau und blickte voller Wut und Empörung auf den zugedeckten Leichnam hinab.
„Wir sprechen uns noch!“, herrschte er die beiden Kammerfrauen der Toten an. Natürlich glaubte er, sie kannten den Mann, der seine Frau geschwängert hatte. Konrad wandte sich um und ging zu der Amme, die das Kind hielt. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf den Jungen und drehte sich wieder um, als die Hebamme ihn zaghaft ansprach.
„Denkt nicht schlecht von eurer Frau, Herr! Eine Frau im Kindbett …“
„Schweig!“, unterbrach er die alte Frau und schickte sich an, den Raum zu verlassen. An der Tür hielt er inne, als er Franzi erkannte. Sie erwiderte nur kurz seinen Blick, dann senkte sie beschämt die Augen zu Boden und eilte aus dem Zimmer.
Meresin wartete, bis Konrad den Raum verlassen hatte, ehe er Franzi folgte. Sie war noch immer ganz benommen von dem, was sie eben miterleben musste. Obwohl die Gräfin sie bis zu ihrem Tod inbrünstig gehasst hatte, tat sie ihr unendlich leid. Franzi litt unsagbar darunter, weil sie nun keine Gelegenheit mehr haben würde, Katharina zu beweisen, dass ihre Abneigung gegen sie vollkommen unbegründet war. Die Gräfin war im festen Bewusstsein gestorben, Franzi führte etwas mit ihrem Mann im Schilde. Die Kammerfrauen waren der gleichen Meinung, und nichts konnte sie davon abbringen. Egal, was Franzi tat, sie gaben ihr die Schuld, wenn der Graf ihr wie ein läufiger Hund nachstellte.
Sie ging in das Ankleidezimmer der Gräfin, drückte sich in einen dunklen Winkel und rutschte mit dem Rücken an der Wand langsam zu Boden. So saß sie auf dem weichen Teppich aus Stroh, versteckte sich hinter einer der großen Kleidertruhen und legte ihre Arme um die angezogenen Beine. Sie vergrub das Gesicht zwischen ihren Knien und schluchzte leise.
Das also war ihr Geburtstag. Der Todestag der Gräfin. Der Tag, an dem man ihre Schwester im Bett des Grafen ertappt hatte, während nebenan ihre Herrin unter entsetzlichen Schmerzen ein Kind gebar. Und wie immer war sie an allem Schuld. Sie hatte ihre Schwester geholt, nur weil sie nicht den Grafen hatte baden wollen. Sie hatte den anderen Mägden gesagt, sie sollten das Wasser aus dem Zuber holen. Hatte sie wirklich nicht daran gedacht, dass ihre Schwester im Bett des Grafen lag? Oder hatte sie es mit Absicht getan, eben weil sie wusste, dass es so war? War sie wirklich verschlagen und hinterhältig, so wie Heidrun immer behauptete?
Franzi selbst wusste, dass sie es nicht gewollt hatte. Sie heuchelte nicht und machte niemandem etwas vor, nur um ihre Arglist zu verbergen. Meresin hatte ihr doch dazu geraten, Walburga zum Grafen zum schicken. Oder hatte sie ihn etwa falsch verstanden? Ihr schwirrte der Kopf. Da hörte sie seine sanfte Stimme.
„Es ist nicht deine Schuld. Walburga wollte es so. Du hast nichts Unrechtes getan.“ Meresin sah durch die Tür, wie sie den Körper der Toten aus dem Zimmer trugen. Franzi wagte sich nicht, seinem Blick zu folgen. Sie sah zu ihm auf und wischte sich die Tränen ab.
„Warst du auch dort, als der Junge geboren wurde?“
Meresin nickte. Er ahnte schon, was sie fragen würde. „Wieso hast du ihr nicht geholfen?“
„Es stand nicht in meiner Macht“, erwiderte er ruhig und sah ihr fest in die Augen. „Es war ihre Bestimmung. Sie hat dieses Ende selbst gewählt.“
Franzi schaute verständnislos zu ihm auf. „Was meinst du damit?“
„Sie hat eine schwere Schuld auf sich geladen.“
„Wenn du davon gewusst hast, warum hast du ihr nicht gesagt, dass sie
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