Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Engel der Schuld Roman

Titel: Engel der Schuld Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
gemacht?«
    »Ich bin hierhergekommen«, sagte er schlicht. »Ich hatte den Fall in den Nachrichten verfolgt. Ich bin noch am gleichen Abend nach Minneapolis geflogen. Weggelaufen. Bin hierhergekommen, um zu sehen, was echtes Leid ist. Habe versucht, irgendwie einen Sinn zu finden, eine Perspektive zu gewinnen. Weißt du, mein Sohn ist am Leben – und er lebt bei Menschen, die ihn lieben. Und ich habe nicht einmal gewußt . . .« Sein Adamsapfel hüpfte, als er verstummte und schluckte. »Es ist nicht wie bei den Kirkwoods oder den Hollomans. Kein Irrer hat ihn entführt, er ist kein Junge, den Gott weiß was für ein Schicksal erwartet. Es ist nicht wie bei Mitch Holt, dessen Sohn von irgendeinem Junkie niedergeknallt wurde. Ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, nur weil ich meinen Sohn nicht zu Ligaspielen mitnehmen kann.«
    Er hat Grund, dachte Ellen, er hat jeden Grund zu leiden. Daß seine Tragödie nicht das Ausmaß der Tragödie der Kirkwoods hatte, machte sie nicht geringer. Und trotzdem verstand sie seinen Versuch, ihr mit Vernunft zu begegnen, den Schmerz nicht zu groß werden zu lassen. Sie bemerkte eine Verletzlichkeit, die sie unter den Schichten von Charme und Zynismus nie vermutet hätte. Und sie hatte das Gefühl, daß sie für ihn genau so überraschend kam. Aus heiterem Himmel, gegen die ungeschützte Flanke. So daß er wie ein gejagtes Tier Hals über Kopf auf vertrautes Terrain flüchtete.
    »Ihr wollt nicht versuchen, euch auf eine Lösung zu einigen?« fragte sie. »Auf das gemeinsame Sorgerecht vielleicht? Zumindest auf eine Anerkennung als biologischer Vater des Jungen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Er ist glücklich. Er hat ein schönes, normales Leben. Was wäre ich für ein Schwein, wenn ich da reinplatze und das alles auf den Kopf stelle?«
    »Aber wenn du sein Vater bist . . .«
    »Carter Talcott ist sein Vater. Ich habe nur das Rohmaterial geliefert.« Er kippte den Rest seines Drinks hinunter, zerknüllte den Becher in seiner Hand und wandte sich dann zu ihr. Seine Miene war kälter, härter, er versuchte krampfhaft, seine Beherrschung wiederzufinden. »Ich bin nicht auf der Suche nach Rat oder Mitleid«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Du wolltest wissen, warum ich hierhergekommen bin, warum ich mir diese Story ausgesucht habe. Es hat überhaupt nichts mit Anthony Costello zu tun. Das Geld, das ich verdienen werde, ist mir scheißegal. Ich bin hierhergekommen, um mich im Elend eines anderen zu verlieren. Wenn du glauben willst, daß ich ein Schwein bin, dann nur zu. Du hast sicher recht. Du findest jede Menge Leute, die dir da mit Freuden zustimmen. Ich möchte nur, daß du mich aus den richtigen Gründen haßt, mehr nicht. Wenn ich schon unter Anklage stehe, dann bitte für eine Sünde, die ich tatsächlich begangen habe.«
    Er ging quer durchs Zimmer, warf den leeren Becher in den Kamin und beobachtete, wie ihn die Flammen verschlangen.
    »Trink aus«, knurrte er, ohne den Kopf zu heben. »Ich bringe dich nach Hause.«
    Ellen ließ ihren Becher auf dem Fenstersims neben seiner ausgedrückten Zigarette stehen und bewegte sich langsam auf ihn zu. Das Haus war trotz des Feuers kalt, eine Art von Kälte, die sie mit Leere verband, mit Einsamkeit. Sie lehnte sich gegen die Steinumrandung des Kamins und sah sich die Möblierung seines »Wohnbüros« an: Büromaschinen und Gartenstühle, ein Militärfeldbett und ein dicker Daunenschlafsack. Das Zuhause eines Durchreisenden.
    »Ich hasse dich nicht«, flüsterte sie. »Ich hasse diesen Fall. Was er dieser Stadt antut. Was er mir antut. Er erinnert mich an Dinge in der menschlichen Natur, auch in meiner, die ich lieber nicht glauben möchte.«
    »In deiner? Aber du bist die Heldin der Geschichte.«
    »Nein, ich mache nur meine Arbeit, eine Arbeit, vor der ich vor zwei Jahren davongelaufen bin, weil ich nicht ertragen habe, was sie aus mir machte. Zynisch zu sein macht einen fertig, brennt einen aus. Ich wollte nicht aufhören, mich um die Leute zu sorgen, die Gerechtigkeit brauchen. Ich dachte, hier würde es mich nicht soviel kosten, würde etwas für mich übrigbleiben. Und jetzt . . .«
    »Und jetzt hast du Garrett Wright und Tony Costello und einen toten Anwalt und einen vermißten Jungen . . . und mich . . .«
    Aus irgendeiner Reserve, von der sie nichts geahnt hatte, holte sie ein Lächeln, das zu seinem paßte. »Und dich. Na ja, vielleicht bist du ja nicht ganz schlecht. Du bist wenigstens eine Ablenkung«, scherzte

Weitere Kostenlose Bücher