Engel der Schuld Roman
es falsch ist.« Er lächelte, ein trauriges, liebevolles Lächeln. »Monsignore Corelli hat immer gesagt, mein Philosophiediplom würde mich in Schwierigkeiten bringen. Ich denke zuviel. Weißt du, ich war nie sehr gut im Einhalten der Regeln.«
»Aber du bist ein wunderbarer Priester«, sagte Hannah. »Du machst die Leute nachdenklich, bringst sie dazu, Fragen zu stellen, tiefer in ihr Inneres zu schauen. Wenn wir diese Dinge nicht tun, was sind wir dann?«
»Festgefahren. Bequem. Glücklich«, sagte er. »Veränderungen schmerzen, sie sind beängstigend. Es wäre leichter für mich, in der Kirche zu bleiben«, gab er zu. »Sicherer. Ich bin da mit allem vertraut, manches liebe ich. Aber ich wäre ein Heuchler, wenn ich so weitermachte . . . Ich kann so nicht leben, Hannah.«
Das Leben hat einen endlosen Vorrat an Ironie, dachte Hannah. Er war ein guter Priester, aber er war ein zu guter Mensch, um Priester zu bleiben. Er konnte nicht gegen seine Prinzipien handeln.
»Ich sollte dir das heute abend nicht aufladen«, sagte er. »Ich habe meine Entscheidung getroffen und du deine . . . Ich will dir nicht noch mehr aufbürden, Hannah. Ich wollte nur, daß du es weißt.«
Er ging zurück zum Feuer und stocherte in der Glut, Funken sprühten und schossen wie Leuchtkäfer in den Kamin. Er liebte sie. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, dachte Hannah, in der sie gesagt hätte, nur Liebe könnte helfen, eine so qualvolle Zeit durchzustehen – die Liebe ihres Mannes. Aber Paul liebte sie nicht, und in all diesem Irrsinn hatte sie ihre Liebe zu diesem anderen Mann entdeckt. Zu einem Mann, den sie bis zu diesem Moment nicht bekommen konnte.
Nach allem, was sie durchgemacht hatten – hatten sie nicht etwas Besseres verdient, als auseinandergerissen zu werden? Aber gab es für sie überhaupt etwas Besseres? Etwas, das nicht im Schatten ihrer Vergangenheit verwelken oder von der Last, die sie zu tragen hatten, erdrückt würde.
»Ich brauche Zeit«, sagte sie und ging zu ihm. »Ich glaube, wir brauchen beide Zeit. Wir haben soviel durchgemacht, in so kurzer Zeit. Ich weiß, ich muß weg von alldem. Ich muß es ausräumen, es in irgendeine Ordnung bringen. Kannst du das verstehen?«
»Ja.« Er sah hinunter zu ihr, seine Augen suchten die ihren, seine Hände umfingen ihr Gesicht, berührten ihr Haar. »Solange du mich nicht ausräumst, wenn wir den Rest sortieren. Wirf das, was wir haben könnten, nicht auch weg, nur weil es vielleicht einfacher wäre, Hannah.«
Nichts war leicht, dachte sie, schloß ihre Augen gegen den bittersüßen Schmerz. Die Last ihrer Entscheidungen war erdrückend, es war eine Last, die sie im Augenblick nicht ertragen konnte. Zeit. Sie brauchten Zeit. Sie schlang ihre Arme um seine Taille, drückte ihn fest an sich und flüsterte: »Ich liebe dich.«
Er beugte ihren Kopf zurück und küßte ihre Wange. Sie fühlte sein sanftes Lächeln auf ihrer Haut. »Dann kann ich warten. Laß es nur nicht ewig dauern.«
Ellen lehnte sich im Stuhl zurück und gönnte sich einen langen, tiefen Seufzer, der von Herzen kam. Es war ein Gefühl, als würde sie zum ersten Mal seit langem wieder richtig durchatmen. Auf jeden Fall war es der erste Augenblick der Ruhe. Sie war erschöpft, Schmerzen pochten in ihrem Körper. Aber nichts konnte das Gefühl der Erleichterung dämpfen. Es war vorbei.
Garrett Wright war einer höheren Macht zur Aburteilung überstellt worden. Karen Wright war in die staatliche psychiatrische Klinik eingeliefert worden, zu einem Test, den sie sicher nicht bestehen würde. Adam Slater saß unter ständiger Bewachung im Bezirksgefängnis. Das BCA und das FBI sahen die Tagebücher durch und arbeiteten mit Polizeibehörden in anderen Staaten zusammen, in denen Wright seine Spiele gespielt hatte. Sie brachten Fälle zum Abschluß, von denen manche vierunddreißig Jahre zurücklagen. Fälle, die nie aufgeklärt worden waren. Fälle, die mit der Verurteilung unschuldiger Menschen geendet hatten, mit Urteilen, die nach so vielen Jahren aufgehoben würden.
Irgendwann würden sich die Wogen glätten, aber unter der Oberfläche würde es nie mehr sein wie zuvor. Die Leute von Deer Lake würden so tun, als hätten sie vergessen, aber sie würden ihre Türen zusperren und ihre Kinder nicht mehr aus den Augen lassen und nie wieder so vertrauen wie früher. Sie würde in ihre alte Routine zurückfallen, aber sie würde nie ihren alten Frieden wiederfinden. Und Brooks . . .
Sie mußte glauben, daß es
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