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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Angst, mich als den Hüter der Gebeine zu bezeichnen, denn ich bin es immer noch, nur dient dieser Hüter der Gebeine nicht den Zwecken eines dem Unheil verschriebenen jungen Mannes in Babylon, noch denen eines bösen Magiers in einem von Kerzen erhellten Zimmer, noch denen eines Pläne schmiedenden Hohenpriesters oder eines von Ruhm träumenden Königs.
    Ich bin der Hüter der Gebeine, die auf dem weiten Felde liegen, das Hesekiel beschreibt - die Gebeine all unserer sterblichen Brüder und Schwestern.«
    Er sprach die Worte des Hesekiel in Hebräisch, doch die Welt kennt sie als die folgenden Verse aus der Lutherbibel: Und des Herrn Hand kam über mich,
    und führte mich hinaus im Geist des Herrn, und stellte mich auf ein weit Feld, das voller Totenbeine lag

    ... und siehe, des Gebeines lag sehr viel auf dem Feld; und siehe, sie waren sehr verdorret.

    »Wer weiß?«, fuhr er fort. »Vielleicht fährt ja eines Tages tatsächlich der Atem in sie. Oder vielleicht meinte der Prophet einfach, dass eines Tages alle Geheimnisse ihre Erklärung finden, dass alle Gebeine mit Verehrung betrachtet werden sollten, dass alle, die einst lebten, den Grund wissen werden für die Leiden, die uns in dieser Welt widerfahren.«
    Er schaute lächelnd auf mich hinab und sagte: »Vielleicht wird man eines Tages in den Gebeinen der Menschen die DNA Gottes entdecken.«

    Ich wusste keine Antwort darauf. Ich lächelte jedoch ebenfalls.
    Und ließ ihn einfach weitersprechen.
    »Aber nun, da ich dich verlasse, muss ich gestehen, dass ich von einer Zeit träume, in der die Trennung zwischen Leben und Tod aufgehoben ist und uns die Ewigkeit gehört, wie wir sie uns vorstellen. Leb wohl, Jonathan, mein gütiger Freund.
    Ich liebe dich.«

    Das war vor einem Jahr.
    Und es war tatsächlich mein letztes Gespräch mit ihm. Gesehen habe ich ihn seitdem dreimal, davon zweimal in den Fern-sehnachrichten.
    Einmal war er zusammen mit anderen medizinischen Hilfskräften während einer Cholera-Epidemie in Südamerika zu sehen.
    Er trug schlichte weiße Krankenhauskluft und half dabei, kran-ke Kinder zu füttern. Sein Haar, seine Augen - er war es unverkennbar.

    Beim nächsten Mal entdeckte ich ihn in einem in die Nachrichten eingeblendeten Film aus Jerusalem. Auf Yitzhak Rabin, den israelischen Premierminister, war am Tag zuvor ein Attentat verübt worden. Asrael war ein Gesicht in der Menge, die die CNN-Kamera in Großaufnahme anvisierte. Er schien durch die Linse direkt in mein Gesicht zu schauen. Der Kommentator sagte, eine Stadt und eine Nation weinten um ihren ermordeten Führer. Die ganze Welt weinte um den Mann, der Frieden mit den Arabern gewollt hatte und nun tot war.
    Asrael schaute in die Kamera, und die Kamera hing einen Augenblick an seinem Gesicht. Asrael sagte nichts, er wirkte nachdenklich - schaute mich unmittelbar an. Er trug einfache schwarze Kleidung.
    Die Kamera bewegte sich weiter, die Nachrichten wurden fortgesetzt.

    Beim dritten Mal erhaschte ich nur einen kurzen Blick auf ihn.
    Doch ich wusste, dass er es war. Das war in New York. Ich saß in einem ins Zentrum sausenden Taxi, das mit wilden Lenkradbewegungen durch den Verkehr des frühen Nachmittags kurvte, und aus dem Seitenfenster heraus sah ich Asrael auf dem Gehweg. Er war ansehnlich gekleidet, das Haar wehte ihm lose um den Kopf, und er sah großartig aus, wie er dort, mit weit ausgreifendem Schritt, sorglos und staunend ging. Er drehte sich plötzlich um, als habe er gespürt, dass ich ihn sah; er schaute sich suchend um. Doch das Taxi flitzte vorbei, und Lastwagen versperrten mir die Sicht. Wir brachten mehrere Straßenzüge hinter uns, das Taxi fädelte sich zwischen immer neuen Wagen hindurch in andere Wagenschlangen ein, ich hätte nicht einmal mehr sagen können, wo genau ich ihn gesehen hatte.
    Vielleicht war es gar nicht Asrael, ich war mir da gar nicht so sicher, jedenfalls behauptete ich das mir selbst gegenüber.
    Und dann wusste ich natürlich auch, dass er Kontakt mit mir aufnehmen konnte, wenn er wollte. Ich kehrte nicht um, um nach ihm Ausschau zu halten.

    Zwölf Monate mussten vergehen, bis das Buch herausge-bracht werden konnte, bis es erfolgreich unter dem Mantel der Anonymität publiziert werden konnte, damit das Gelächter meiner Kollegen mich nicht aus der Universität trieb, und au-
    ßerdem sollten die, denen diese Geschichte wichtig ist, nicht durch meinen Namen vom Lesen abgehalten werden.
    Hier ist sie nun: die Geschichte vom »Hüter der

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