Voll auf Ex-Kurs Roman
1. Kapitel
Ground Zero
Ich kann nicht verstehen, was er sagt. Das heißt, physisch kann ich es schon verstehen, also, wenn es um das reine Hören geht. Nur psychisch begreife ich es nicht. Da lösen seine Worte in der verquirlten Masse zwischen meinen beiden Ohren (auch »Hirn« genannt) gerade einen kompletten Systemabsturz aus. Er, das ist Sebastian, mein Freund, mein Liebster, mein Ein und Alles. Seit fünf Monaten schon, fünf Monaten voller Glück, Harmonie, Seelenverwandtschaft und, ähm … Streit. Aber auch voller phantastischem Sex, das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Nur darüber redet Sebastian gerade leider nicht. Von dem phantastischen Sex, meine ich. Nein, er hält sich lieber beim Thema »Streit« auf, bei der kleinen Auseinandersetzung, die wir gestern Abend hatten und die nun dazu führt, dass er die bereits erwähnten Systemabsturz-Worte sagt.
Das heißt, er sagt sie nicht, er scheint sie vielmehr zu rappen, was vielleicht daran liegt, dass Sebastian seine Brötchen als Produzent bei einem kleinen Hip-Hop-Label verdient. Aber möglicherweise ist es auch nur das Blut, das laut durch meinen Kopf pocht und jeden seiner Sätze mit einem gnadenlosen Rhythmus unterlegt. Spiel mir das Lied vom Beziehungstod, Requiem für eine beerdigte Liebe:
»Es geht einfach nicht mehr. ES GEHT NICHT MEHR.
Ich fühle mich zerrieben und von dir getrieben, bin überfordert und ausgebrannt, du hast mich völlig überrannt.«
Nein, so hübsch reimt er das nicht, während er am Fußende meines Bettes hockt und dabei den Kleiderschrank fixiert. Er bringt es mehr stockend vor, leise purzeln Worte wie »vorbei« und »Ende« aus seinem Mund. Bei mir hingegen purzeln die Tränen, zwar ebenfalls leise, aber keineswegs stockend. Mehr sturzbachähnlich, quasi aus weit geöffneten Schleusen.
»Kannst du mich nicht ansehen, während du mir das sagst?«, will ich wissen. Wer mich abserviert, soll mir dabei wenigstens in die verheulten Augen blicken. Doch Sebastian schüttelt den Kopf.
»Nein, das kann ich nicht. Und ich möchte dich bitten, mir jetzt keine Szene zu machen.« Szene? Was für eine Szene?
»Hab ich schon mit was geworfen?«, frage ich und denke gleichzeitig darüber nach, ob meine Nachttischlampe nicht in der Tat ein ausgezeichnetes Wurfgeschoss wäre. Gefällt mir sowieso nicht mehr, ich wollte längst mal eine neue kaufen.
»Pia.« Er seufzt und starrt weiter die Schranktür an. »Wir haben es versaut. Wir haben es beide versaut und kriegen es einfach nicht hin.«
»Aber warum denn nicht?« Ich bin versucht, ein kleines »Menno« hinterherzuschieben. Aber dann fällt mir ein, dass ich mit meinen dreiunddreißig Jahren dafür wohl ein bisschen zu alt bin.
»Das weißt du doch selber.«
»Wenn ich es wüsste, würde ich nicht fragen. Also hätte ich gern eine Antwort.« Doch anstatt einer elaborierten Antwort, ob nun gerappt oder nicht, erhalte ich nur einen weiteren Seufzer. Dann steht Sebastian auf, geht hinaus in den Flur und legt den Zweitschlüssel zu meiner Wohnung auf die
Kommode neben der Tür. Jetzt löse ich mich aus meiner Bewegungsstarre, springe vom Bett auf und folge ihm.
»Kannst du«, frage ich, als er schon die Klinke in der Hand hat, »mich wenigstens noch einmal in den Arm nehmen?« Er dreht sich zu mir um. Und irgendwie wusste ich, dass das vielleicht ein Fehler sein würde. Aber jetzt steht er vor mir, mein großer, mein stattlicher Held. Mit seinen 1,90 Metern, den dunklen gelockten Haaren und den stahlblauen Augen, die dazu genau den faszinierenden Kontrast bilden, der Pierce Brosnan zu Weltruhm und einigen Milliönchen auf dem Konto verholfen haben dürfte.
Und er tut es. Er nimmt mich in den Arm. Ganz fest drückt er mich an sich, so dass ich seinen Herzschlag spüren kann. Stumm stehen wir da, seine »Kleine«, wie er mich immer genannt hat, und mein »Basti«. Nur eine Sekunde scheint es zu dauern, dann macht er sich von mir los und schlurft mit hängenden Schultern durch die Tür. Als sie hinter ihm ins Schloss fällt, explodiert es in mir. Ground Zero. Na, prima!
Der erste Morgen nach Ground Zero
Gut. Die Situation ist einigermaßen unschön: Gestern hat mich mein Freund verlassen, weil er meinte, es ginge mit uns beiden nicht mehr. Heute – wir schreiben Montag, den 27. September -, sitze ich um sechs Uhr morgens in der verschnarchten Werbeagentur, in der ich meine Brötchen verdiene, und bin mit Sebastian absolut einer Meinung. Es geht nicht mehr. Es geht
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