Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Bergmann, Karriere, event. Affekt.
Bis in den späten Nachmittag hinein fasste er alle Informationen, die er von der Fahndung bekommen hatte, gemeinsam mit seinem eigenen Wissen und dem wenigen, was ihm Schäfers Familie und seine paar Freunde mitteilen konnten, mithilfe eines Analyse-Programms zusammen. Jetzt war Schäfer also ein Fall; sein Fall. Wie armselig, dass ich das nicht schon vorige Woche gemacht habe, sagte er sich. Dass ich darauf warten muss, dass Herrchen Kamp „Hol das Stöckchen“ sagt. Eigenverantwortung sah anders aus. Kein Wunder, dass er von ein paar missgünstigen Kollegen hinterrücks Schäfers Pudel genannt worden war; dann sogar in seinem Beisein; bis er einem dieser Macho-Deppen nach einer Rempelei am Schießplatz die Schulter ausgekegelt hatte; dann war Schluss mit dem Gespött gewesen und Schäfer hatte ihm eine Flasche Wein geschenkt, die zu trinken Bergmann sich aufgrund ihres Preises bis heute nicht getraut hatte. Das wäre wohl ein perfekter Wiedersehens-Tropfen … Mögliche Verdächtige, tippte er in den Computer, öffnete die Dateien mit den Fällen, die sie im vergangenen Jahr bearbeitet hatten, und suchte die Täter aus, die er für fähig hielt, sich an Schäfer rächen zu wollen, und die zugleich über genug Beziehungen außerhalb der jeweiligen Strafanstalt verfügten, um eine derartige Aktion überhaupt durchführen zu können. Kurz vor fünf kam Kovacs zu ihm.
„Bitteschön“, sie hielt ihm eine Klarsichtfolie hin.
„Der Bürgermeister?“
„Genau … Sie wollten ja nur zehn Seiten, aber …“
„Aber?“, er legte den Stapel, der mindestens das Doppelte umfasste, vor sich hin.
„Ich habe es nicht geschafft, so viel wegzulassen … außerdem sollte ich es bis morgen machen …“
„Was soll ich dann heute damit, wenn es noch nicht fertig ist?“
„Durchsehen und mir dann sagen, was Sie für unwichtig erachten“, sie klang genervt.
„Gut, mache ich … was ist Ihr Gefühl?“
„Zu dem Unfall? … Pff … es ist verrückt … wenn Sie nur den Bericht der Kollegen lesen, gibt’s keine Zweifel … aber nach den Sachen, die dieser Richter da erzählt … ich weiß es nicht … ich will mich ja auch nicht blamieren und sagen, dass er recht hat, aber …“
„Das ist das Wunderliche an diesen Verschwörungstheorien, dass sie oft so glaubhaft sind … Sie glauben also, dass es möglich ist, dass der Mann einem Anschlag zum Opfer gefallen ist …“
„Ja.“
„Ist es wahrscheinlich?“
„Ich …“, sagte Kovacs zögerlich, „keine Ahnung, der redet da dauernd von Politik und Finanzgeheimnissen, irgend so einem BOG-Verein und dem britischen Geheimdienst …“
„Das überfordert Ihr Wissen und Ihre Erfahrung.“
„Ja … von mir aus … wenn Sie es so sagen wollen …“ Sie setzte sich und ließ die Arme hängen.
„Das zugeben zu können erfordert Stärke“, sagte Bergmann und ging zur Kaffeemaschine. „Auch einen?“
„Nein, danke …“
„Also, was ich sagen wollte: Man muss sich nicht schämen, wenn …“
„Ich schäme mich ja gar nicht“, unterbrach sie ihn, „deswegen bin ich ja heute schon gekommen, weil ich nicht weiter gewusst habe …“
„Ach so, ja“, erwiderte Bergmann irritiert, „stimmt. Ich wollte Ihnen nur grundsätzlich sagen, dass es … also keinen Grund gibt, sich nicht an mich zu wenden, wenn Sie etwas brauchen oder …“ Mein Gott, diese sechsundzwanzigjährige energiegeladene Jungamazone irritierte ihn noch mehr, seitdem er ihr direkter Vorgesetzter war. Vielleicht sollte er es einfach mit Schäfers Sonnenkönig-Methode versuchen: anschreien oder -schweigen, bis sie zerbrochen waren oder gekrochen kamen.
„Ich bin diese Rolle nicht gewohnt“, sagte er ohne Umschweife.
„Ja, verstehe ich … ist ja für uns alle nicht leicht … “
„Was macht Schreyer eigentlich gerade?“ Ja, er wollte ablenken.
„Jetzt zu Ihnen als neuem Chef oder altem Kollegen?“
„Was er macht, will ich wissen, Sie freches Luder!“ Gut, sie brachte ihn zum Lachen.
„Er hat einen Haufen Münzen vor sich liegen und schiebt sie über den Tisch wie ein Kartenorakel …“
„O Gott“, stöhnte Bergmann, dem dieses Imitieren von Schäfers seltsam systemischer Verdächtigenaufstellung mithilfe von Münzen aus persönlichen Versuchen sehr geläufig war. Er sah auf die Uhr. „Auch schon egal … aber wenn er morgen so weitermacht, geben Sie mir Bescheid …“
„Sicher … kommen Sie weiter?“, sie sah auf die Charts an
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