Engelsberg
man wie in eine ausgedehnte Savanne (span. sabana ) hineinkommt. Oder wie in ein Bettlaken (span. sábana ). Die kleine Akzentverschiebung ergab einen Sinn, war das Bett doch für Arenas Ort des Lesens wie des Liebens, von Literatur und Lust. Wie bei dem von ihm hochverehrten Lyriker und Romancier José Lezama Lima sollte in seinem Textgewebe alles mit allem zusammenhängen, eine einzige Textur aufweisen. Auch Engelsberg ist Teil dieses umspannenden Gewebes, das sich in verschiedene Zyklen aufgliedert. So findet man auch von diesem Roman aus einen guten Zugang zum gesamten Œuvre des Kubaners.
In den USA, wo der Roman entstand, durfte sich Reinaldo Arenas fürs Erste in Sicherheit wähnen. Doch der Autor wusste sich zugleich im Exil: Weit entfernt von jener Insel, an deren Stelle die Insel Manhattan nicht treten konnte, war sie doch eine jener Großstädte des Nordens, über die sich einer der Erzähler des vorliegenden Textes beklagt. Ebenso die Literatur- wie die Homosexuellenszene der USA wird Arenas letztlich fremd bleiben, mehr noch: Er wird sich nicht nur als Fremder fühlen, sondern als solcher in Szene setzen. Die spanischsprachige Literatur, für Arenas schon in Havanna zum wichtigsten Lebensmittel geworden, ist in einer vorherrschend englischsprachigen Umwelt sein eigentliches Überlebensmittel. Neue Impulse beleben sein Schreiben.
Bis ihn die Diagnose Aids mit dem unausweichlich und unmittelbar bevorstehenden eigenen Ende konfrontiert. Nach dem fieberhaften Abschluss seiner Autobiografie, noch bevor es für immer Nacht werden sollte, tritt er dem Tod mutig entgegen: selbst in den letzten Wochen mit jener Art von Humor, der auch seine Texte auszeichnet. Noch sein Selbstmord im New Yorker Dezember 1990 war ein letzter Schreibakt, ein Aufschrei(ben), in dessen Anklage des Regimes Fidel Castros trotzig die Selbstbehauptung der eigenen Freiheit erscheint: »Kuba wird frei sein. Ich bin es schon.« Kein Zweifel. Und das Werk von Reinaldo Arenas wird auch weiterhin Wind und Wetter trotzen.
Eine Literatur, die der Literatur trotzt
Die schöne Mulattin Cecilia Valdés ist die einzige Romanfigur, die es in der an Traditionen und Legenden reichen kubanischen Literaturgeschichte zum literarischen Mythos gebracht hat. Die titelgebende Protagonistin des 1882 von Cirilo Villaverde im New Yorker Exil veröffentlichten Romans Cecilia Valdés o La Loma del Angel (»Cecilia Valdés oder Der Engelsberg«) – dem eine erste, noch auf Kuba abgeschlossene und publizierte Fassung vorausging – wurde weit über die Grenzen der Karibik hinaus zur nationalen Symbolfigur Kubas. In ihr bündeln sich wesentliche historische Etappen kubanischer Geschichte und Gesellschaft. Die größte der Antilleninseln war – gemeinsam mit Puerto Rico – trotz der politischen Unabhängigkeit der benachbarten hispanoamerikanischen Republiken auch weiterhin unter spanischer Kolonialherrschaft verblieben und schließlich in eine Phase lang anhaltender Freiheitskriege eingetreten, die erst 1898 mit dem räuberischen Eintritt der USA in den spanisch-kubanischen Krieg eine überraschende Wendung nehmen sollte. Wie aber war es möglich, dass eine Romanheldin als Mulattin und als Femme fatale zur Projektionsfläche der ersehnten nationalen Gemeinschaft werden konnte?
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts darf die Literatur auf Kuba als eine wesentliche Triebkraft der kubanischen Nationbildung begriffen und Cecilia Valdés als eine bis heute tief ins kulturelle Gedächtnis der Kubaner eingebrannte Figur verstanden werden, in der sich die sozioökonomischen und ethnisch-politischen Ungleichheitsverhältnisse eines ausbeuterischen Kolonialregimes anschaulich verkörperten. Sich mit der schönen Mulattin Cecilia Valdés zu beschäftigen, die mit ihrem Schöpfer Cirilo Villaverde nicht von ungefähr die Initialen teilt, heißt folglich, sich mit den Grundfesten des kubanischen Selbstverständnisses wie der Identitätssuche der Insel auseinanderzusetzen.
Genau dies tat Reinaldo Arenas. Als er 1987 in Miami seinen Roman unter dem Titel La Loma del Angel erscheinen ließ, war allen mit der kubanischen Geschichte und Literatur Vertrauten klar, dass sich der wie Villaverde mittlerweile im Exil in New York lebende Kubaner an den bedeutendsten und bedeutsamsten kubanischen Roman des 19. Jahrhunderts herangewagt hatte. Entsprechend hochgeschraubt waren die Erwartungen.
Arenas war sich dieser Tatsache bewusst. Sein knappes Vorwort zeigt: Er wusste, worauf er sich
Weitere Kostenlose Bücher