Engelsberg
eingelassen hatte. Denn das Vorwort unterstreicht nicht nur die herausragende Bedeutung des Bezugstextes – wobei es sich zugleich von simplen Deutungen des Romans als »Spiegel« und »Widerspiegelung« soziopolitischer Verhältnisse in der kolonialen Sklavenhaltergesellschaft distanziert; es fragt zugleich nach den Bedingungen und Traditionslinien einer Neuschöpfung, eines Um- und Neuschreibens dieses kubanischen Romans par excellence.
Im Vorwort zeichnet sich die Stoßrichtung von Arenas’ Vorhaben bereits deutlich ab. Mit einem Augenzwinkern werden als vergleichbare Modelle nicht nur die Namen von Aischylos, Sophokles und Euripides sowie von Shakespeare und Racine ins Feld geführt; vielmehr dienen die Verweise auf den mexikanischen Essayisten und Lyriker Alfonso Reyes, auf den kubanischen Dramaturgen und Erzähler Virgilio Piñera und den peruanischen Romancier und Essayisten Mario Vargas Llosa dazu, neben die klassischen Autoren der abendländischen Tradition gleichberechtigt lateinamerikanische Vertreter zu stellen, die sich mit antiken Mythen oder – im Falle des peruanischen Autors – mit literarischen Verarbeitungen historischer Ereignisse im Kontext des lateinamerikanischen Nationbildungsprozesses beschäftigten. Die Tatsache, dass kein Geringerer als der Argentinier Jorge Luis Borges als illustrer Garant des eigenen Unternehmens herbeizitiert wird, mag belegen, dass Arenas nicht nur die lateinamerikanischen Literaturen ganz selbstverständlich auf eine Stufe mit denen des Abendlandes stellt und zugleich die transatlantischen Verbindungslinien zwischen ihnen hervorhebt; ebenso macht der Autor deutlich, dass sich der Mythos Cecilia Valdés als Bezugstext nicht nur mit Iphigenie oder Elektra messen kann, sondern auch als Nationalfigur auf gleicher Augenhöhe mit anderen Prozessen nationaler Selbst(er)findung steht. Es geht folglich nicht um eine provinzielle Romanfigur einer peripheren Literatur: Mit Cecilia Valdés wagt sich Reinaldo Arenas an eine der schillerndsten Schöpfungen des 19. Jahrhunderts.
So legitimiert, kann dieses sakrosankte Werk – dessen Übersetzung endlich auch ins Deutsche dringend anstünde – zum Gegenstand einer hintergründigen Parodie (oder wie Arenas im ersten Kapitel seiner Autobiografie formulierte: »einer sarkastisch-liebevollen Parodie«) werden. Denn Arenas ist es – bei aller Hochachtung für seinen Vorläufer im New Yorker Exil – nicht um eine Hommage, nicht um eine respektvolle Annäherung zu tun, sondern um eine Fortschreibung im Sinne einer Ver-Stellung: Cecilia Valdés – und mit ihr zugleich auch ihr Schöpfer – wird einem fröhlichen, frechen Verwirrspiel ausgesetzt, das der Fantasie des Autors (wie des Lesers) freien und befreienden Lauf lässt. Einem kanonisierten Werk werden in einer »ketzerischen Fassung« – so der im Manuskript noch vorhandene und später getilgte Untertitel von Arenas’ Roman – mit den Mitteln der Fiktion neue Bedeutungen und Deutungen abgetrotzt. Wie aber sieht die hieraus entstehende neue Literatur aus?
Gleich Reyes oder Piñera strebt Arenas zunächst nach einem möglichst freien, von keiner Sakralisierung eingeengten Umgang mit »seinem« Mythos. Anders aber als seine lateinamerikanischen Vorläufer muss er seine Frauenfigur nicht nach Lateinamerika verrücken: Sie stammt von dort. Arenas’ Verrückung und Aneignung ist vielmehr – wie es im Vorwort heißt – ein »Verrat«, ein Hintergehen der ursprünglichen Absichten Villaverdes. Diese hintergründig spielerische Entwendung des Gegenstandes zum Ziele einer anderen, nicht vorgesehenen Verwendung aber ist eine Verstellung, die zugleich Profanierung ist: Ein literarischer (National-)Mythos wird aus den Angeln gehoben und humorvoll zur Schau gestellt.
Ein verrücktes Unterfangen? In jedem Falle eines, das seit dem Roman Wahnwitzige Welt Arenas’ Schreiben charakterisiert. Dabei werden beide Texte, der eigene wie der angeeignete, im Spiel gehalten: Die »neue« soll nicht an die Stelle der »alten« Cecilia, der »neue« nicht an die Stelle des »alten« Romans treten. Ein Dialog, mehr noch: ein Schlagabtausch beginnt. Viel steht auf dem Spiel: Das liebevolle, bisweilen aber auch gewalttätige und stets lustvolle Aufbegehren gegen den »Klassiker« zielt auf Bild und Selbstbild der kubanischen Nation.
Zu diesem Zweck wird mit der für Arenas typischen Unbotmäßigkeit, seiner irreverencia , der alten frech eine neue Literatur abgetrotzt. Denn im
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