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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kibler
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Rettungswagen«, sagte Muttl und deutete in die entsprechende Richtung.
    »Danke«, erwiderte Margot und verabschiedete sich.
    Auf dem Weg zum Rettungswagen murmelte ihr Kollege: »He, brauchst du mich noch? Mir geht es nicht wirklich
gut.«
    Sie sah den Kollegen an. Im Flutlicht war gut zu erkennen, dass er ziemlich blass um die Nase war. »Nein, schon in Ordnung. Wie kommst du heim?«
    »Vielleicht fährt mich einer von den Kollegen der Schupo. Sonst lauf ich bis zum Böllenfalltor und nehm mir ein Taxi.«
    Margot überlegte kurz, ob es nicht eine bessere Möglichkeit gab. »Wie wär’s, wenn du dich kurz von den Jungs in Weiß durchchecken lässt, während ich mit dem Lokführer rede?«
    Horndeich war von der Idee nicht gerade begeistert: »Ich komm schon klar«, blaffte er.
    »He, was ist mit dir los?« Den Tonfall war Margot nicht gewohnt.
    »Gar nichts ist los, was soll los sein? Ich geh jetzt. Du kommst hier allein klar. Ich auch«, grunzte er, dann wandte er sich grußlos ab und verschwand im herbstlichen Wald.
    Seltsam. So hatte sie ihren Kollegen noch nie erlebt. Vielleicht schlug der drei Monate alte Nachwuchs aufs Gemüt. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht erinnerte sie sich kurz an die Zeit, als ihr Sohn Ben, inzwischen selbst zweifacher Vater, in diesem zarten Alter gewesen war. Dann sah sie das Gesicht ihres Mannes zu der Zeit vor sich. Okay. Und Horndeich war schließlich auch nur ein Mann.
    Sie erreichte den Rettungswagen, in dessen offener Seitentür ein Mann saß, eingehüllt in eine Wolldecke, eine Tasse heißen Tee in der Hand.
    »Sie sind der Lokführer?«, fragte Margot und ging direkt auf ihn zu.
    Der Mann sah auf. Er war vielleicht dreißig Jahre alt, schlank, aber selbst unter Wolldecke und Jacke konnte man erahnen, dass er gut durchtrainiert war. »Ja«, sagte er. Und die roten, geschwollenen Augen zeigten, dass das Ereignis nicht spurlos an ihm vorübergegangen war.
    »Hesgart, Kripo Darmstadt. Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« Sie hasste diese Frage. Natürlich konnte sie Fragen stellen, so viele sie wollte. Nur die Qualität der Antworten war stets ungewiss.
    Der Mann nickte. »Ich heiße Reinhard Zumbill.«
    »Herr Zumbill, können Sie mir erzählen, was hier passiert ist?«
    Zumbill nickte, sagte aber zunächst nichts. Stattdessen trank er einen Schluck Tee. Dabei rollten wieder Tränen über seine Wangen. »Ich bin pünktlich losgefahren. Haltepunkt Lichtwiese. Keiner raus, zwei rein, wie immer, sonntags, der letzte Zug halt.«
    Er machte eine Pause.
    Eine lange Pause.
    »Und dann?«
    Zumbill sah sie mit leerem Blick an. »Ich bin an der Station ›Lichtwiese‹ um 22.51 Uhr weggefahren. Hab ganz normal beschleunigt. Hab dann auf Fernlicht geschaltet, während ich einen Schluck Kaffee getrunken hab. Und als ich sie sah, da war alles schon zu spät. Hatte schon über fünfzig Stundenkilometer drauf – kaum Fahrgäste als Ballast, und der Itino beschleunigt wirklich gut.«
    »Itino?«
    »So heißen die Triebwagen hier.«
    Margot war auch schon mit den modernen und schicken Triebwagen gefahren. Die waren deutlich komfortabler als die durchgesessenen Kunstledersitze in den ehemaligen silbernen Nahverkehrszugwagen. Margot erinnerte sich auch noch an die Dampfloks, die bis 1970 auf der Strecke gefahren waren. Als kleines Mädchen hatte sie immer vor Furcht und Vergnügen gekreischt, wenn sie mit ihrem Vater auf der Fußgängerbrücke am Traisaer Hüttchen gestanden hatte und vom Rauch und Dampf der zischenden Loks eingehüllt worden war.
    »Scheiße. Hätte ich doch bloß den Kaffee nicht …« Wieder versank Zumbill in Schweigen.
    »Und dann?« Margot hatte genug Einfühlungsvermögen, um zu wissen, dass dieser Mann viel Hilfe brauchen würde, um nach diesem Erlebnis wieder einigermaßen ins Leben und in den Job zurückzufinden. Wenn er Pech hatte, nur noch ins Leben. Aber da war auch noch ihr eigenes drängendes Bedürfnis: Sie wollte einfach nur noch ins Bett.
    »Dann? Dann sah ich sie. Vorn auf den Gleisen. Hat sich nicht bewegt. Ich hab sofort auf den Schlagtaster für die Notbremsung gehauen. Dann kam ich zum Stehen. Dort …« Er deutete in die Richtung, in der der Zug stand. Rund zweihundert Meter Bremsweg. Zeit genug für Räder, Achsen und Fahrgestell, ihr Todeswerk zu vollstrecken.
    »Sie ist also nicht vor den Zug gesprungen?«
    »Nein. Sie saß da. Wartete. Ich hau auf den Schalter, schon zu spät, dann der Schlag, dann das Quietschen der Räder. Ich hab direkt die

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