Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Lippen bewegten sich kaum, während sie sprach. Alan spürte, wie Verdrossenheit auch den letzten Rest Vorfreude auf die Vernissage verdrängte.
„Ich habe nichts damit zu tun“, sagte er. „Das ist eine Sache zwischen dir und Mordechai.“
„Du könntest ihn beeinflussen. Er ist dein Vater.“
„Das ändert nichts.“
Eine senkrechte Kerbe erschien über ihrer Nasenwurzel. „Du bedeutest ihm etwas.“
„Was nicht heißt, dass er meinem Rat folgt. Wir teilen selten eine Meinung.“ Alan musterte den Ausstellungssaal auf der anderen Seite der Glaswand. Es trafen immer mehr Gäste ein. Eine Frau in Jeans und orangefarbener Batikbluse erweckte seine Aufmerksamkeit. Vielleicht, weil sie so gar nicht in die elegante Menge passte. Sie war schmal, drahtig und trug eine Ledertasche an einem breiten Riemen. In ihrem Nacken kringelten sich kurz geschnittene Locken von der Farbe dunklen Honigs.
„Dir ist nicht klar, was er anrichtet, nicht wahr?“ Katherinas Stimme nahm an Schärfe zu. „Wenn er diese Junkies ungestört wüten lässt, sie auch noch schützt, gefährdet er uns alle. Das ist die größte Mordserie der letzten zehn Jahre. Wahrscheinlich arbeitet das halbe LAPD an dem Fall. Früher oder später werden sie etwas finden, und ich will mir gar nicht ausmalen, was dann passiert. Sie werden eine Hetzjagd auf alle Schattenläufer ausrufen.“
„Mordechai glaubt nicht, dass ihm Menschen etwas anhaben können.“
„Mordechai ist verrückt. Ich habe schon einmal einen Krieg erlebt und kann nicht zulassen, dass sich das wiederholt.“ Ihr Blick verdunkelte sich. „Nicht mit den Waffen, über die sie heute verfügen.“
Alan schwieg. Er beobachtete, wie die Frau mit dem honigfarbenen Haar eine Nikon aus ihrer Tasche nahm und sich auf ein Knie herabließ, um die Wandfront zu fotografieren.
„Du bestehst auf deiner Neutralität?“ Vorwurf schwang in Katherinas Frage.
„Du willst doch nicht nur, dass ich auf meinen Vater einrede. Du musst wissen, dass ich keinen Erfolg haben werde.“
„Ich will, dass du zu uns zurückkehrst, Alain Schattenherz.“
„Ich trage diesen Namen nicht mehr.“
Katherina lächelte traurig. „Nein, du versteckst dich hinter deinem Schwur, statt Unheil zu verhindern, wo du es könntest. Das bringt die Toten nicht zurück.“
Sein Groll schlug um in Wut. „Selbst wenn! Selbst wenn ich zurückkehre zur Garde ... du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich mich gegen meinen Vater stelle.“
Ihre Augen leuchteten auf und enthüllten für eine Sekunde die Natur des Wesens, das sich in diesem makellosen Körper verbarg.
„Ich zwinge ihn zurück in die Regeln“, sagte sie. „Mit dir oder gegen dich. Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich gern auf unserer Seite wüsste.“
„Ist das eine Drohung?“
Sie lächelte schwach. Alan wandte den Blick ab. Er bemerkte, dass die Fotografin ihre Kamera über die Schulter gehängt und ein Gespräch mit einem Gast begonnen hatte, einem hageren Mann in einem Leinenanzug. Er kannte ihn von früheren Ausstellungen, erinnerte sich jedoch nicht an seinen Namen.
„Wir sollten uns unters Volk mischen“, sagte Katherina. „In zehn Minuten geht es los.“
„Wer ist die Frau dort drüben?“
„Die Fotografin?“
Er nickte.
„Das ist vermutlich Eve Hess. Sie schreibt für die Los Angeles People.“
„Ich bekomme eine Besprechung in der LA People?“ Er hob eine Augenbraue. „Die interessieren sich für Kunst?“
„Die People hat mehrere Millionen Leser. Selbst wenn die nur das Muttermal auf deiner Wange besprechen, ist das schon gut für uns. Du gibst ihr ein Interview. Erzähl ihr ein paar Anekdoten.“
„Welche Anekdoten genau hattest du im Sinn?“
Katherina lachte. Ihr Lachen verriet mehr als alles andere ihre Jahre in Russland, mehr sogar als ihr Name. Kennen gelernt hatte er sie in Paris, aber er wusste, dass sie zuvor eine lange Zeit in St. Petersburg verbracht hatte.
„Erzähl ihr, was du gern isst, welche Fernsehserien du magst und was du von Angelina Jolie hältst.“
„Das sind die Dinge, die die Welt bedeuten?“
„Du wirst es mögen, berühmt zu sein.“
Ihr Lachen verklang zu einem amüsierten Lächeln. Alan wusste, dass sie erneut versuchen würde, ihn gegen Mordechai zu instrumentalisieren. Nicht heute vielleicht. Doch später. Nicht, dass er sie nicht verstand. Aber er erwartete, dass sie ihm das gleiche Verständnis entgegen brachte, und das tat sie nicht. Hatte sie nie getan.
„Sollen
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