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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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die Sozialarbeiter - sie alle hatten versucht, ihr die Wahrheit und ein Geständnis zu entlocken, aber sie selbst war genauso ratlos wie alle anderen. Sie hatte keine Ahnung, was damals wirklich geschehen war. Trevor und sie hatten den ganzen Abend miteinander herumgeflirtet und schließlich waren sie hinunter zu den Umkleidekabinen am See gerannt, weg vom Rest der Party. Sie hatte allen versucht zu erklären, dass dies einer der schönsten Abende ihres Lebens gewesen war - bis er diese schreckliche Wendung nahm.

    Wieder und immer wieder hatte sie den Abend in Gedanken an sich vorbeiziehen lassen, hatte Trevors Lachen gehört, seine Hände auf ihren Hüften gespürt und sich bemüht, ihrem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen. Hatte sich bemüht, daran zu glauben, dass sie unschuldig war.
    Aber jede Regel, jede Vorschrift und jedes Verbot in der Sword & Cross widerlegten jetzt dieses Bauchgefühl, alles schien ihr nur zu bestätigen, dass sie gemeingefährlich war und streng beaufsichtigt werden musste.
    Luce spürte eine kräftige Hand auf ihrer Schulter.
    »Mädchen, eins kann ich dir sagen, vielleicht hilft dir das ja: Du bist noch bei Weitem nicht der schlimmste Fall hier.«
    Es war die erste menschliche Geste, die die Frau ihr gegenüber an den Tag legte, und Luce war überzeugt, dass sie es gesagt hatte, damit sie sich besser fühlte. Aber trotzdem. Luce war auf die Sword & Cross geschickt worden, weil der Junge, in den sie verliebt gewesen war, auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen war und man sie des Mordes verdächtigte - und da sollte sie »noch bei Weitem nicht der schlimmste Fall« sein? Sie fragte sich, womit die hier sonst noch zu tun hatten.
    »Okay, das reicht erst mal zur Einführung«, sagte die Frau. »Ab jetzt musst du selbst zurechtkommen. Hier ist ein Plan zur Orientierung.« Sie gab Luce die Fotokopie eines mit der Hand gezeichneten Lageplans, dann schaute sie auf die Uhr. »Du hast noch eine Stunde, bis deine erste Unterrichtsstunde anfängt, aber meine Lieblingssoap kommt in fünf Minuten und deshalb«, sie machte eine Handbewegung, »verschwinde jetzt. Und vergiss nicht«, sie deutete noch ein Mal nach oben auf die Kamera, »das Rotlicht sieht alles.«
    Luce hatte keine Zeit mehr zu antworten, denn ein zierliches,
dunkelhaariges Mädchen war vor ihr aufgetaucht und wedelte mit ihren langen Fingern vor ihrem Gesicht herum.
    »Oooooh, aaaaaaah«, sang sie wie bei einer Geisterbeschwörung und tanzte im Kreis um Luce herum. »Das Rotlicht sieht alles.«
    »Zisch ab, Arriane, bevor ich dich einer Gehirn-OP unterziehe«, sagte die Frau. Aber an ihrem kurzen, aufrichtig wirkenden Begrüßungslächeln war zu erkennen gewesen, dass sie diesem verrückten Mädchen tatsächlich so etwas wie Zuneigung entgegenbrachte.
    Genauso deutlich war aber auch zu erkennen, dass Arriane diese Liebe nicht erwiderte. Sie zeigte der Frau kurz den Mittelfinger, dann starrte sie herausfordernd Luce an, wie um zu testen, ob die Neue sich leicht provozieren ließ.
    »Das reicht, Arriane«, sagte die Frau und machte wütend einen Vermerk in ihr Heft. »Dafür darfst du jetzt den ganzen Tag unsere neue Little Miss Sunshine betreuen und ihr hier alles zeigen.«
    Mit dem kleinen Sonnenschein meinte sie Luce, die in schwarzen Jeans, schwarzen Stiefeln und schwarzem Oberteil alles andere als sonnig wirkte. Unter der Überschrift »Kleiderordnung« war auf der Website der Sword & Cross fröhlich behauptet worden, die Schüler dürften bei guter Führung ihre Kleidung frei wählen - mit nur zwei kleinen Einschränkungen: kein übertriebener Luxus und nur eine Farbe, nämlich schwarz. Das nannte man hier Freiheit.
    Der weite Rollkragenpullover, der Luce von ihrer Mutter an diesem Morgen aufgedrängt worden war, ließ nicht viel von ihrer Figur erahnen, und was ihr an sich selbst immer am Besten gefallen hatte, nämlich ihr dickes, hüftlanges schwarzes Haar, war auch verschwunden. Das Feuer in der Badekabine hatte ihr die Haare bis auf wenige einzelne Büschel
versengt, und nach der langen, schweigenden Rückfahrt von Dover hatte ihre Mutter sie in die Badewanne gesetzt, Dads elektrischen Rasierapparat hervorgeholt und Luce wortlos den Kopf kahl geschoren. Den Sommer über waren ihre Haare wieder ein kleines bisschen gewachsen, gerade so viel, dass ihre Locken, um die sie vorher so viele beneidet hatten, sich nun verlegen hinter den Ohren kringelten.
    Arriane legte den Finger an ihre blassen Lippen und musterte Luce.

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