Sag nie, nie wieder
1. KAPITEL
Connor McCoy warf einen Blick in den Spiegel und verschluckte sich beinahe, so fremd kam ihm sein Spiegelbild vor. Es war nicht zu leugnen: Er war tatsächlich der Trauzeuge seines jüngsten Bruders David. Connor starrte auf den Smoking und die Schleife.
Der Mann, der ihm da entgegenblickte, war ein dunkelhaariger Typ, Ende dreißig, und er sah gut aus. Dabei verschwendete Connor wenig Zeit für sein Äußeres. Ein Mal im Monat ließ er sich die Haare kurz schneiden, wie er es seit seiner Ausbildung zum U.S. Marshal in Glynco in Georgia, die ein Jahrzehnt zurücklag, immer getan hatte.
Seife, Deodorant, Rasiercreme, ein Rasierer und ein Fläschchen Aspirin - mehr hatte er nicht im Badezimmerschrank.
Stirnrunzelnd betrachtete er die zahlreichen Duftwässerchen auf der Kommode und griff nach einem Fläschchen mit dem verheißungsvollen Namen „Sex Bomb".
„Was dauert denn so lange?" David steckte den Kopf zur Tür herein.
Connor zeigte auf das Fläschchen. „Nimmst du das wirklich?"
Sein jüngerer Bruder lehnte sich gegen den Türrahmen. „Bei jeder Gelegenheit. Macht Frauen wild."
Connor stellte das Fläschchen weg und warf beinahe die anderen um. „Ich kann darauf verzichten."
Er betrachtete seinen Bruder, der die Brieftasche vom Nachttisch holte. David hatte sich nicht verändert. Sein Haar war jetzt vielleicht ordentlicher als früher, doch das war alles. David McCoy war noch immer der smarte Typ wie eh und je. Wieso wollte er dann plötzlich heiraten?
Connor räusperte sich. „Bist du nervös?"
„Ich?" David tippte sich gegen die Brust. „Verdammt, ja, und wie."
Connor atmete auf. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät, seinen Bruder davon zu überzeugen, dass er den größten Fehler seines Lebens begehen würde. Bestimmt war David nicht grundlos nervös.
David steckte die Brieftasche ein. „Schließlich muss man nicht jeden Tag vor der Hälfte der Washingtoner Polizei öffentlich seine Liebe für eine Kollegin beschwören."
Connor verzog schmerzlich das Gesicht.
„Was ist los, Con?" David stieß ihn freundschaftlich an. „Du bist ein wenig grün um die Nase. Sag bloß, dass du auch nervös bist."
„Ich? Verdammt, nein. Ich will nur ganz sicher sein, dass du ...
also, dass du auch das Richtige tust."
„Soll das ein Scherz sein? Kelli Hatfield zu heiraten ist die klügste Entscheidung meines Lebens." David wurde ernst.
„Weißt du, ich dachte, ich hätte alles im Griff. Das Leben, den Beruf und die Liebe. Dann tauchte Kelli auf und zeigte mir, dass ich von nichts eine Ahnung hatte."
So hatte sich Connor dieses Gespräch nicht vorgestellt. Er verzichtete darauf, den Kopf zu schütteln.
„Weißt du eigentlich, wie das ist?"
„Was?" fragte Connor irritiert.
„Jemanden zu lieben. Sich rettungslos zu verlieben. Einen Menschen kennen zu lernen, der die ganze Welt verändert. Es ist, als würde man endlich die Augen öffnen und zum ersten Mal sehen."
Himmel, sein Bruder befand sich tatsächlich in einem bedauernswerten Zustand. „Mir gefällt die Welt, wie sie im Moment aussieht."
„Diese Antwort habe ich erwartet." David klopfte Connor lachend auf die Schulter. „Hoffentlich erlebe ich es mit, wenn es dich irgendwann erwischt, Bruder. Für dieses Ereignis verkaufe ich persönlich die Eintrittskarten."
„Meinetwegen, aber du solltest dafür noch kein Stadion mieten, David, weil du sonst den letzten Cent verlierst."
David hob warnend den Zeigefinger. „Du bleibst auch nicht ewig verschont."
„Und ob." Connor kontrollierte die Manschettenknöpfe und seufzte. Offensichtlich kam er mit seinem Bruder im Moment nicht weiter. „Bist du bereit?"
„Seit dreißig Jahren."
Connor verzog erneut das Gesicht. Von den vier Hochzeiten, an denen er im vergangenen Jahr teilgenommen hatte, setzte ihm diese am meisten zu.
Sechs Stunden später ging die Sonne unter. Vor dem eleganten Hotel im Zentrum von Washington, D. C., zwitscherten die Vögel, und die Kirschbäume blühten. Drinnen im prächtig geschmückten Saal gab sich Connor McCoy seiner düsteren Stimmung hin und wurde mit dem Aufruhr in seinem Inneren nicht fertig.
Er lehnte an der Bar und sah zu, wie das glückliche Paar mit dem ersten Tanz die Feier eröffnete. David raunte seiner Braut etwas ins Ohr. Kelli errötete und kam seinem Kuss entgegen.
Das wirkte auf Connor so intim, dass er sich wie ein Voyeur vorkam, obwohl ungefähr zweihundert Leute zusahen. Mit einer Verwünschung wandte er sich ab.
Wer hätte
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