0616 - Duell der Vampire
Sarkana war uralt. Seit ewigen Zeiten beherrschte er als Sippenführer den Clan, der seinen Namen trug.
Mit Wehmut entsann er sich der alten Zeiten, in denen noch Asmodis der Fürst der Finsternis war. Jetzt saß eine Frau auf dem Knochenthron und regierte die Schwarze Familie mit harter Hand - eine Frau! Stygia, eine Dämonin, die zwar recht alt war, von der aber kaum jemand etwas wußte. Sie hatte sich in den letzten Jahren in den Vordergrund gespielt, und plötzlich gewann sie die Herrschaft über die Schwarze Familie!
Sarkana gehörte zu jenen, die sich nur sehr schwer damit abfinden konnten. In den letzten zwei Jahrzehnten, eine lächerliche Zeitspanne im Vergleich mit der, welche Dämonen existierten - hatte es viele, vielleicht zu viele Veränderungen gegeben. Der Hybride Dämon aus der Straße der Götter stieß Asmodis vom Thron, räumte diesen Platz aber wieder, und Asmodis kehrte zurück. Später wurde Belial Fürst für ein paar Tage, ehe der Dämonenjäger Zamorra ihn erschlug, dann griff jener durch die Narretei des Asmodis wiedererstandene Leonardo deMontagne nach der Macht, schließlich das gefürchtete Telepathenkind Julian Peters - und nun zu allem Überfluß Stygia!
Mit den anderen Fürsten und Fürstchen hatte Sarkana sich kaltlächelnd abfinden können; was scherten sie ihn? An der Macht und dem Einfluß seines Clans kam kein Fürst der Finsternis vorbei. Welche Entscheidungen es auch zu treffen galt - ohne Sarkanas Wohl oder Wehe war nichts zu machen.
So zumindest sah es der alte Vampir selbst.
Immerhin hatten die anderen Fürsten zumindest auf seinen Rat gehört oder ihn zumindest um eine Stellungnahme gebeten.
Stygia tat dies nicht.
Sie ließ sich nicht beraten. Sie traf einsame Entschlüsse. Sie herrschte allein. Und damit nicht genug, war sie zu allem Überdruß auch noch eine Frau!
Nein, damit konnte Sarkana sich niemals abfinden!
Dabei hatte er auch so schon genug Ärger. Da war dieser Dämonenjäger Zamorra, da war dieser Silbermond-Druide Gryf ap Llandrysgryf, der sich speziell als Vampirjäger hervortat, und da war nun auch noch der längst totgewähnte Tan Morano, der vor etwa anderthalb Jahren wieder aus der Versenkung gekommen war und seinen einstigen, schon vor geraumer Zeit umverteilten Machtbereich wieder für sich beanspruchte.
Morano erwies sich inzwischen als äußerst lästig. Ein Gespräch, zu dem Sarkana ihn gebeten hatte, ergab nichts anderes, als daß sich Morano standhaft weigerte, seine Existenz freiwillig aufzugeben. Dem nachzuhelfen, war indessen etwas problematisch; der Ehrenkodex der Vampire verbat es, daß ein Blut-Verwandter den anderen tötete. Zumindest ein Sippenoberhaupt wie Sarkana durfte sich keine solche Blöße geben.
Ein Versuch, Morano in eine Falle zu locken und von Zamorra erschlagen zu lassen, war gescheitert.
Aber Sarkana suchte weiter nach Möglichkeiten, Morano aus dem Weg zu räumen. Denn Morano stellte für ihn eine durchaus ernstzunehmende Gefahr dar. Schon damals, ehe Morano für lange Zeit von der Bildfläche verschwand, hatte er viele Anhänger gehabt, die ihn bedrängten, er solle doch die Führung aller Vampirfamilien übernehmen. Morano hatte sich zwar immer dagegen gesträubt, aber Sarkana, der diese Führerschaft selbst anstrebte, hatte ihm niemals auch nur ein Wort davon geglaubt.
Und jetzt war Tan Morano wieder da…
Doch das war nur eines von Sarkanas Problemen. Das andere war noch viel älter: Gryf ap Llandrysgryf, der Druide vom Silbermond, verfolgte alle Vampire schon seit acht Jahrtausenden. Und er hatte Yolyn getötet. [1]
Das war in Llanrhyddlad gewesen, jenem Dorf auf der Insel Anglesey nördlich von Wales, wo Sarkana Gryf eine Falle gestellt hatte. Auch der Dämonenjäger Zamorra war mit von der Partie gewesen. Er hatte Gryf aus der Falle befreit, und Sarkanas Tochter war dabei getötet worden - was Sarkana nicht unbedingt milder gegen Zamorra und Gryf stimmte.
Sarkana hatte ihnen Rache geschworen.
Und jetzt bot sich ihm die Möglichkeit dazu.
Er bereitete die Falle vor, in der sich Gryf diesmal endgültig fangen sollte.
Nur übersah er dabei, welche Möglichkeiten sich einem anderen seiner alten Feinde boten.
Denn daß der seine Fangzähne in dieses Spiel einbrachte, damit rechnete Sarkana überhaupt nicht…
***
»Du hast einen auserlesenen Geschmack, Sir«, sagte Sylka Brown. Ihre Fingerkuppen glitten über die Etiketten der Wein- und Whiskyflaschen des Schrankfachs. »Nur vom Feinsten…«
Tan Morano
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