Entfesselt
offenbar in ein oberes Stockwerk führte. Nicolai brachte sie durch die Tür nach draußen, wo bereits eine dunkle Limousine wartete. Er öffnete die Tür, schob Amanda hinein und setzte sich zu ihr. Nach ein paar russischen Anweisungen an den Fahrer, fuhr der Wagen los. Amanda blickte Nicolai irritiert an. „Wohin fahren wir?“
„In mein Labor.“
„Sie haben in London ein Labor?“
Er lachte leise, indem er den Arm um ihre Schulter legte. „Habe ich dir das noch gar nicht erzählt? Wir sind nicht mehr in London, Doc.“
Es dauerte Sekunden, bis sie begriff. „Soll das etwa heißen, wir sind in Russland ?“
„Du sprichst das Wort Russland aus, als wäre es eine ansteckende Krankheit.“
In gewisser Weise war es das in diesem Zusammenhang auch. Denn schließlich sanken damit ihre Chancen auf Flucht Richtung Gefrierpunkt. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schwieg den Rest der Fahrt. Als sie wo auch immer ankamen, war es noch immer stockdunkel. Sie konnte nur spekulieren, wie spät es war, denn ihre Uhr hatte sie, genau wie Handy und Laptop seit der Entführung nicht mehr gesehen.
Nicolai öffnete ihr die Tür und hob ihr die Hand entgegen. Ohne ein weiteres Wort ließ sie sich aus dem Wagen ziehen. Nicolai hielt sie mit einem zweiflerischen Geräusch fest. „Stimmt was nicht, Doc?“
„Sie meinen außer, dass ich von einem durchgeknallten Milliardär nach Russland entführt wurde, der mich geschlagen, gewürgt und beinah vergewaltigt hat und mich jetzt zwingt für ihn Energie-Trüffelschwein zu spielen?“
Er lächelte, doch seine Augen blieben davon unberührt. „Du gehst etwas hart mit mir ins Gericht. Komm her, das muss leider sein!“
Er drehte sie um und hielt sie bei den Schultern fest. Als plötzlich etwas ihre Sicht verdunkelte, zuckte sie zusammen und hob die Hände, doch er hielt sie fest und brachte seine Lippen an ihr Ohr, während er das Tuch über ihren Augen verknotete. „Wenn du möchtest, können wir das heute Abend noch einmal machen. Du kannst nackt dabei sein, wenn du möchtest.“
Vor lauter Wut versuchte sie mit ihrem Hinterkopf nach seinem Gesicht zu schlagen. In ihrer Fantasie brach sie ihm so das Nasenbein. In der Realität jedoch wich er mit einem Lachen aus und schob sie vorwärts.
„Vorsicht, Stufe!“ Nicolai hielt ihren Arm fest, während sie eine Stufe hinabging. Sie hörte eine Schiebetür zur Seite fahren. Dann war es warm. Zimmertemperatur. Es war etwas stickig, roch nach Papier und das leise Surren von Computern war zu hören, das ihr nach all den befremdlichen Stunden ein seltsames Gefühl von Heimat vermittelte.
Als Nicolai ihr die Augenbinde abnahm, stand sie in einem Büro, dessen Front verglast war. Ihr Blick fiel auf eine tiefe Grube, um die herum Förderbänder, LKWs und Maschinen standen.
„Ist das ein Bergwerk?“, fragte sie und beobachteten aus dem Augenwinkel, wie zwei von Nicolais Männern an der Tür Posten bezogen.
Er nickte. „Braunkohle.“
Amanda trat vom Fenster zurück. „Dann haben Sie mit mir die falsche Wahl getroffen. Mit Kohle habe ich nichts am Hut. Ich bin Expertin auf dem Gebiet der -“
„Geothermie“, vervollständigte er ihren Satz, was sie stocken ließ.
Mit einem milden Lächeln führte er sie zum Fenster, so dass sie das ganze deprimierende Panorama der ausgeschlachteten, toten Erde betrachten konnte.
„Das Werk wird bereits stillgelegt, Schritt für Schritt. Ich habe es vor kurzem gekauft. Die Vorkommen sind erschöpft.“
Amanda dämmerte, worauf er es abgesehen hatte. Nachdenklich zog sie die Stirn kraus. „Ist es ein sehr weitläufiges Tunnelsystem?“
„Ja, und tief. Sehr tief.“
Er schien tatsächlich nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Oder vielleicht hatte er auch einfach nur ein gutes Näschen für Möglichkeiten Geld zu verdienen.
„Sie haben Formationswasser in den Tunneln?“
Mit einem Nicken ging er zu einem der Schreibtische und förderte eine Mappe mit Diagrammen zu Tage. „Wir haben teilweise Temperaturen von 120 Grad Celsius dort unten. Ich habe einige Geologen und Geophysiker mit Gutachten beauftragt. Viele der Schächte sind stabil genug, um für die Förderung der Erdwärme nachgenutzt zu werden.“
„Und was wollen Sie dann von mir?“
„Ich will eine optimale Nutzung dessen, was in dieser Erde ist.“ Er zeigte aus dem Fenster und verharrte für einen Augenblick reglos. Amanda betrachtete ihn unverhohlen. Eine so unmenschlich schöne Statue, dass sich Michelangelos
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