Entfesselt
Blockhütte. Hochflorige Teppiche lagen auf den Steinböden, die sich warm und weich unter ihren Füßen anfühlten.
Als sie die Küche betrat, fand sie Nicolai vor dem offenen Kühlschrank.
Er hätte sie töten können, schoss es ihr durch den Kopf. Er hätte es getan, wenn sie geschrien hätte. Sie musste fliehen; musste ihn ablenken, wenn er unachtsam war. Es gab immer solche Augenblicke, das wusste sie aus leidvoller eigener Erfahrung.
Während sie seinen muskulösen Rücken über den tief sitzenden Jeans betrachtete, der sich durch das dünne weiße Hemd abzeichnete, wurde ihr klar, was sie vor allem anderen tun musste: sein Vertrauen gewinnen.
„Willst du da reinkriechen?“, fragte sie und benutzte das „Du“, das ihr im Wagen über die Lippen gekommen war, nun ganz bewusst.
Überrascht fuhr er herum, hatte ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, sie auf den Beinen zu sehen. Er lächelte.
„Eines muss man dir lassen. Du bist hart im Nehmen, Doc!“
„Ich habe eine Beule am Hinterkopf und eine Laufmasche, aber sonst geht es mir gut.“ Sie stellte sich neben ihn, um den Inhalt des Kühlschranks zu inspizieren. Sein Blick glitt über ihren Körper und spülte Aufregung und Angst in sie hinein, und ein Prickeln, das sich schwer ignorieren ließ.
Der Kühlschrank war leer, bis auf mehrere Flaschen Bier und eine Flasche Wodka. Seufzend wandte sich Amanda den Küchenschubladen zu, wo sie einige Konserven entdeckte und einige Packungen Nudeln. Offenbar hatte er nicht oft Gelegenheit dazu, in diesem Haus zu sein.
Wenigstens war die Küche voll ausgestattet, wie sie feststellte, indem sie einen Topf aus dem Schrank holte und Wasser hineinlaufen ließ. Der überraschte Blick von Nicolai amüsierte sie fast.
„Setz’ dich hin!“, sagte sie und nickte an den Tisch.
„Ich scheine dich ziemlich hart am Kopf getroffen zu haben“, räumte er verwundert ein.
„Ich habe Hunger“, gab Amanda zurück. In ihr keimte die Hoffnung, dass es leichter war, sein Vertrauen zu gewinnen, als sie vermutet hatte. „Spaghetti mit Tomatensauce sind keine Delikatesse, aber besser als nichts.“
Sie drehte den Herd auf und gab eine Prise Salz ins Wasser. Dann nahm sie den Dosenöffner aus der Besteckschublade und öffnete die Konserve mit den gekochten Tomaten, schüttete die Flüssigkeit ab, und legte die Tomaten auf ein Schneidebrett, hackte sie klein und gab sie in eine Pfanne. Ihre Hände zitterten unter Nicolais prüfendem Blick, während sie sich immer wieder ins Gedächtnis rief, dass sie genau das gleiche tat, wie zu Hause in ihrer eigenen Küche. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie ihr Zuhause je wiedersehen würde.
Er schwieg die ganze Zeit, bis sie die Nudeln und angebratenen Tomaten in Teller gefüllt, und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt hatte. Als sie zurück an den Tisch ging, kochte ihr Puls. Sie lächelte - gleichmütig, wie sie hoffte - und stellte Nicolai einen Teller hin.
„Natascha wird ja heute wohl nicht für uns kochen, vermute ich“, sagte sie, indem sie sich ebenfalls setzte.
„Nein, wohl kaum.“
Sie mischte ihre Nudeln durch und aß. Sie hatte einen schrecklichen Hunger und keine Ahnung, wie viel Zeit seit der letzten Mahlzeit vergangen war. Ihr Zeitgefühl hatte sich bei der Entführung dauerhaft verabschiedet.
Und Bewusstlosigkeit wirkte sich wohl ohnehin nicht positiv auf eine zeitliche Orientierung aus.
„Schenkst du uns einen Wodka ein?“
Seine Brauen schossen in die Stirn und für einen Augenblick nahm sein Gesicht einen skeptischen Ausdruck an. „Wodka?“
Sie musste vorsichtig sein. „Als Alternative zu den Kopfschmerztabletten“, sagte sie, verzog das Gesicht ein wenig leidvoll.
Mit einem stummen Nicken stand er auf, holte die Flasche und zwei Gläser. Während er eingoss, aß Amanda weiter.
Er gab ihr ein Glas und lächelte sie aus seinen tiefgrünen Augen an. Indem er sein Glas in die Höhe hob, sagte er „Sa nas!“
„Was heißt das?“
„Auf uns!“
Sie lächelte, ohne es spielen zu müssen. „Cheers!"
In einem Zug leerte sie ihr Glas, in der Hoffnung, dass ihr der Alkohol ein bisschen Mut gab. Die Flüssigkeit brannte unerwartet stark in Mund und Nase, Speiseröhre und Magen. Keuchend stellte sie das Glas ab. Tränen drückten in ihre Augen, was ihn zum Lächeln brachte.
„Zu stark, Doc?“
Sie schnappte nach Luft. „Genau richtig“, brachte sie mühsam hervor und steckte sich eine Gabel mit Nudeln in den Mund, um das Brennen zu
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