Entfesselt
keinen Verkehrslärm hörte, war sie offenbar nicht in der Stadt. Es würde also nicht genügen, nach draußen zu kommen und um Hilfe zu schreien. Die beste Taktik war es sicher, sich möglichst lange schwach zu stellen und dann die erstbeste Situation auszunutzen, in der er nicht aufpasste.
Wenn er mit der Blondine noch mal eine ähnliche Nummer plante, wäre das der perfekte Zeitpunkt für ihre Flucht.
Der Entführer kam aus dem Bad, trug dabei nur ein Handtuch um die Hüften. Er war braungebrannt, hatte leuchtend grüne Augen, die sie sofort erkannte, und schwarzes Haar. Sein Körper war guten Gewissens als stählern zu bezeichnen, und dass er auch sonst nicht spärlich gebaut war, hatte Amanda bereits live gesehen.
Sie versteifte sich in ihrer Schlafposition und begriff, wie verdammt schwierig es werden würde, ihm zu entkommen. Hoffentlich plante er nicht sie zu töten, aber das hätte er ja schließlich schon längst tun können. Ihre Gedanken rotierten, während sie sich zur Regungslosigkeit zwang.
Als ihr der Duft von Aftershave in die Nase stieg, wusste sie, dass er neben ihr am Bett stand. Mühsam ihren Atem kontrollierend verharrte sie, während er sich über sie beugte. Sie hörte, dass er etwas aus der Tasche zog und als er nach ihrem Arm griff, musste sie sich zwingen ihn schlaff hängen zu lassen, anstatt ihn ihm zu entreißen. Etwas kaltes Metallisches schloss sich um ihr Handgelenk. Es war eine Handschelle.
Ihr Arm wurde nach oben gebogen und an das Kopfteil des Bettes gefesselt. Dann war es still. Minutenlang. Sie begann sich zu fragen, ob er vielleicht schon weggegangen war, riskierte es und öffnete ein Auge einen Spaltbreit. Sie blickte in ein dunkles, männliches Gesicht mit kantigem Kinn und wachen, grünen Augen, deren Ausdruck sich ihr bereits im Hotel, in diesem kurzen Augenblick der Todesangst, eingeprägt hatte. Er lächelte.
„Ich wusste, dass du wach bist“, sagte er mit tiefer, leiser Stimme.
Sie meinte einen Hauch von Akzent darin zu hören, ein stark gerolltes R, war sich aber nicht hundertprozentig sicher.
„Denkst du, ich habe nicht bemerkt, dass du mir zugesehen hast?“
Unwillkürlich schoss ihr die Röte in die Wangen. Er beugte sich so tief über sie, dass er sie fast berührte, noch immer trug er nur ein Handtuch.
„Hat dir gefallen, was du gesehen hast?“
Ohne es zu wollen, summte etwas in ihrem Körper. Sie fragte sich, ob es legitim war, wenn einer Frau die Attraktivität eines Mannes auffiel, obwohl er sie entführt und vermutlich ihren Tod geplant hatte. Vermutlich nicht!
„Wo ist mein Koffer?“, fragte sie und ihre Stimme war ein tonloses Flüstern. Er beugte sich zu ihr hinab.
„Du brauchst ihn vorerst nicht“, sagte er leise und drehte ihr Gesicht am Kinn zu sich herüber.
„Wie spät ist es?“ Langsam erholten sich Ihre Stimmbänder.
Er strich über ihren Arm, so vorsichtig, dass die Drohung, die in seiner Berührung lag, ihr eine Gänsehaut bescherte.
„Du brauchst heute keine Termine mehr wahrnehmen.“
Heute? War denn heute überhaupt noch heute? Oder hatte sie so lange geschlafen, dass das gestern war, und heute war schon morgen? Ihr wurde schwindlig. Wut überkam sie.
„Fahren Sie zur Hölle!“
Er lachte. „Mit Sicherheit! Aber noch nicht heute!“
Mit diesen Worten ging er zum Kleiderschrank, wo er das Handtuch fallen ließ. Mit nichts als einem Lächeln am Körper drehte er sich zu ihr um.
„Hast du Lust?“
Amanda verzog grimmig das Gesicht. In was für einer Freakshow war sie hier eigentlich gelandet?
„Sie dürften doch eigentlich ausgelastet sein.“
„Ich bin eigentlich nie ausgelastet.“
Sein Lächeln weckte Amandas Übelkeit wieder. Die Wut über ihre eigene Dummheit schaffte es tatsächlich ihre Angst ein wenig in den Hintergrund zu drängen. Wenn sie doch nur den Begleitschutz angenommen hätte, der man ihr versucht hatte aufzuschwatzen.
„Sind Sie Exhibitionist?“ Amanda versuchte sich etwas aufzurichten, damit ihr fest geketteter Arm in einem weniger unnatürlichen Winkel abstand.
Er wirkte amüsiert, wobei sie sich nicht sicher war, ob wegen ihrer Frage, oder wegen ihres kläglichen Versuches sich in eine sitzende Position zu kämpfen. Er stieg in schwarze Pants und zog sich ein weißes T-Shirt über.
„Für eine Wissenschaftlerin bist du ganz schön bissig, Doc.“
Sie kniff die Augen zusammen und schluckte die Übelkeit
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