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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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mich zu konzentrieren. Meine Wangen begannen zu glühen, als sich das Schweigen im ganzen Raum ausbreitete. Ich war mir nur zu bewusst, dass Reyn da war und still neben Brynne saß, und Daisuke, der in einer Ecke allein vor sich hin lernte. Mein Versagen war unausweichlich: In meinem Gehirn nach den Eigenschaften der Ringelblume zu suchen war, als würde man herumrennen und Glühwürmchen fangen wollen. Glühwürmchen mit Turbolader. Im Kokainrausch.
      »Sie wird viel genutzt in ... Thailand und Indien, für religiöse Zwecke«, sagte ich in dem verzweifelten Versuch, das Gesicht zu wahren. Ich hasste es, dumm dazu stehen, obwohl das für mich mittlerweile genauso selbstverständlich sein sollte wie Atmen. Aber Reyn war hier und ich hasste, hasste, hasste es ganz besonders, vor ihm dumm dazustehen.
      »Ja?«, hakte Anne nach.
      Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf – hölzerne Karren, hoch beladen mit den gelben Blumen auf einem Straßenmarkt in Nepal. Zweifellos war das heute noch so, aber meine Erinnerung daran stammte aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Da war ich über Nepal nach Bombay gereist, um dort ein Handelsschiff nach England zu nehmen. Und jetzt lasst uns den Suezkanal hochleben, der diese Reise locker um vier bis fünf Monate verkürzt. Wer ist dabei?
      »Nastasja.« Anne seufzte und strich sich die Haare aus der Stirn. » Es würde dir helfen, solche Dinge zu wissen.«
      »Ich weiß«, beteuerte ich und versuchte, nicht den Kopf einzuziehen, als ich hörte, wie Reyn auf seinem Stuhl herumrutschte.
      »Ich will es ja. Ich weiß, dass ich es wissen muss. Es ist nur - mein Kopf ist schon so voll mit anderem Kram.«
      Ich meine, das ist doch wohl logisch, oder? Vierhundertneunundfünfzig Jahre hinterlassen eine Menge Kram. Identitäten, Abenteuer, Lebensabschnitt nach Lebensabschnitt, jeder davon so voll wie der vorherige. Das brachte die Unsterblichkeit eben mit sich.
      Brynne zappelte mittlerweile auf ihrem Stuhl herum wie ein Greyhound, der ein Kaninchen entdeckt hat.
      »Okay«, sagte ich energisch und setzte mich aufrechter hin. Ich wusste es jetzt. Ich hatte es eine Million Mal gelernt. »Okay, also ... sie dient überwiegend zum Schutz. Und stärkt. Zum Beispiel das Herz, und schützt vor dem Bösen. Oh.«
      Jetzt kapierte ich, wieso ich alles über Ringelblumen lernen sollte, und mir wurde klar, dass sie mich, zusammen mit einer Unmenge anderer Dinge (wie Weihrauch, Flohkraut, Eisenkraut, Brennnessel, Eisen und Onyx, um nur ein paar zu nennen) vor dem Bösen schützen sollten. Manche Leute versuchen, sich vor Erkältungen zu schützen. Ich gebe alles dafür, das Böse fernzuhalten. Ist eben alles relativ.
      Das uralte Böse. Wirklich komisch, dass es tatsächlich existiert. Aber das tut es. Und meine letzte Begegnung damit, diese ganze Horrorshow in Boston mit meinem ex-besten Freund Incy hatte mir nur allzu deutlich klargemacht, dass ich kaum eine Ahnung von Magie habe. Hätte ich in dieser Nacht über mehr Wissen verfügt, hätte ich Katie und Boz vielleicht retten können. Hätte vielleicht ihr grauenvolles Sterben nicht mitansehen müssen. Vielleicht hätte ich auch mich selbst schneller befreien können, und zwar ohne, dass mir fast der Kopf explodiert wäre.
      Ich war nun schon einen Monat wieder hier in River's Edge. Wahrscheinlich hätte ich ebenso gut in irgendeine entfernte Ecke der Welt fliehen, mich in einer Höhle verkriechen und meine Wunden lecken können - und das für, nun, sagen wir mal eine Ewigkeit. Aber ich war fertig genug, um zuzugeben, dass ich tatsächlich Hilfe brauchte. Ich brauchte Hilfe dringender als meinen Stolz, meine Tapferkeit, meine Coolness oder meine totale Verlegenheit.
      Bis jetzt waren alle super damit umgegangen, was passiert war. Niemand hatte es mir unter die Nase gerieben, mich verachtet oder auch nur komisch angesehen. Weil die alle so viel cooler sind als ich, richtig? So viel erfahrener, sowohl in der realen Welt als auch in der Welt der Buße. Und mir keine Vorwürfe zu machen, sorgte bei ihnen für gutes Karma. Eigentlich müssten sie mir danken. Dass ich ihnen so viele Gelegenheiten gebe, die Gutmenschen hervorzukehren.
      Aber es war auch unverkennbar, dass meine jahrhundertealte Angewohnheit, nichts zu lernen, mich nicht weiterbrachte. Also saß ich fest wie ein Fisch am Haken und wurde Stunden über Stunden mit Wissen bombardiert: Beschwörungen, Einfluss der Sterne auf die Magie, magische Eigenschaften

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