Entfesselt
ihm das Gesicht abzulecken.
»Okay«, sagte er ruhig und hob die Hand. »Sitta.« Sofort plumpste Dufas kleiner Hintern auf den kalten Boden und ihre merkwürdig hellbraunen Augen waren unverwandt auf Reyns Gesicht gerichtet. Er hielt die Hand ausgestreckt, als er sich wieder aufrichtete und über ihr stand - mehr als einsachtzig groß, überwältigend attraktiv und gefährlich. Dufa sah ihn immer noch unverwandt an, erlaubte sich aber ein kurzes Wedeln mit ihrem überlangen dünnen weißen Schwanz. »Okay«, sagte er wieder und erlöste sie. Sie sprang auf und fing erneut an zu kläffen.
»Sie kann schon Sitz«, sagte ich mit meiner üblichen Begabung, die offensichtlichsten Dinge in Worte zu fassen. »Auf Schwedisch.« Wie konnte ich meinen nächsten Plan in die Tat umsetzen? Ich will dich irgendwohin locken. Mich auf dich werfen. Nicht darüber nachgrübeln, ob unsere »Beziehung« überhaupt »sinnvoll« ist.
»Sie ist ein kluges Mädchen«, sagte Reyn, nahm den Welpen hoch und steckte ihn in seinen Stallmantel. Dufas weißes Gesicht und die langen Schlappohren lugten unter seinem Kinn hervor und sie sah sowohl glücklich als auch sehr wichtig aus. In meinem Kopf machte es ding. »Du meinst, sie ist klug, aber ich nicht?« Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da waren sie mir schon peinlich - ich meine, wie paranoid war ich, eine harmlose Bemerkung über seinen Hund sofort als Seitenhieb gegen mich zu interpretieren?
»Ganz genau«, erwiderte er kalt und meine Augenbrauen schossen hoch.
»Häh?«
Er blieb auf dem Weg abrupt stehen und wandte sich mir zu, das Gesicht voller Wut. »Du bist in Boston fast gestorben!«, fuhr er mich an. »Du bist tausendmal mächtiger als dieses jämmerliche Stück Abfall, aber trotzdem hatte er die Oberhand.
Du warst so kurz davor, dir deine Kraft entreißen zu lassen!« Er hielt zwei Finger dicht nebeneinander für den Fall, dass ich visuelle Verdeutlichung brauchte.
»Ich weiß!«, verteidigte ich mich. »Ich war da! Dumm gelaufen. Und?« Ich verschränkte die Arme und versuchte, nicht zur Kenntnis zu nehmen, wie Dufa Reyn den Hals leckte.
»Und wieso lernst du dann nicht wie eine Verrückte?«, rief er. »Wieso nimmst du das nicht ernst? Du hast zwei deiner Freunde einen grauenvollen Tod sterben sehen. Du solltest Angst haben und alles tun, was du kannst: lesen, lernen, üben.« Er verengte die .Augen und stach mir mit seinem starken Zeigefinger in die Brust, was richtig wehtat. »Nächstes Mal kannst du deine Kraft vielleicht nicht mehr retten«, sagte er. »Nächstes Mal wirst du vielleicht getötet. Du könntest für immer tot sein, nur weil du zu faul warst, dich zusammenzureißen und zu lernen, wie du dich schützen kannst!«
Was erlaubte der sich? Jetzt verengten sich auch meine Augen und ich fing an, ihm den Finger gegen die Brust zu stoßen. Allerdings war Dufa im Weg und ich wusste nicht, wo sie anfing und endete. Also funkelte ich ihn nur böse an und bedachte ihn mit dem strengen Lehrerinnen-Fingerwackeln - was längst nicht so befriedigend war. Davon abgesehen war er auch noch rund zwanzig Zentimeter größer als ich, also fürchtete ich, dass ich nicht so einschüchternd auf ihn wirkte, wie ich es gern getan hätte.
»Du -«, begann ich wütend, aber mehr fiel mir leider nicht ein. »Ich -« Während ich noch empört versuchte, mich zu verteidigen, wurde mir zu meiner Schande bewusst, dass er recht hatte.
Er wartete und sein Atem hinterließ weiße Wölkchen in der kalten Luft.
»Ich versuche es ja«, sagte ich steif.
»Du versuchst gar nichts«, widersprach er kalt. »Du bist hier, um dein Leben und dich selbst endlich mal ernst zu nehmen. Sag mir Bescheid, wenn du vorhast, damit anzufangen.« Bevor ich auch nur so tun konnte, als hätte ich eine tolle Retourkutsche parat, hatte er sich schon an mit vorbeigedrängt und marschierte mit seinen langen Beinen aufs Haus zu. Ich verharrte eine Weile und wusste nicht, was ich tun sollte.
Nach meiner Rückkehr aus Boston hatten Reyn und ich uns kurz darüber verständigt, was wir füreinander empfanden. Okay, also eigentlich hatten wir uns vor allem darauf geeinigt, uns nicht mehr zu hassen.
Und jetzt war er gerade mal wieder wütend auf mich. Was mochte er überhaupt an mir? Wieso passte er dann immer wieder einen günstigen Augenblick ab und küsste mich so leidenschaftlich mit seinem superheißen Mund.
Okay, Schluss damit! Reiß dich zusammen,
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