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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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höheren Kreisen recht gut kannte), fand die Vorliebe des Lords für feminine Grooms und rotwangige Lakaien amüsant. »Ein brillanter Gesprächspartner, ein trefflicher Sportsmann und ein wahrer Gentleman«, sagte er zur Begründung, warum er diesen Banville nach Moskau eingeladen hatte (damals war bereits klar, daß Großfürstin Jekaterina der Krönung fernbleiben würde).
    Die unangenehme Überraschung bestand für mich nicht darin, daß Lord Banville seine derzeitige Flamme mitgebracht hatte – Mr. Carr sah immerhin wie ein Mensch der guten Gesellschaft aus – mein Unmut erklärte sich viel einfacher: Wo sollte ich noch einen Gast unterbringen? Selbst wenn sie in einem Zimmer nächtigten, mußte ich dem zweiten Engländer anstandshalber ein eigenes Schlafzimmer zuweisen. Ich überlegte ein wenig und fand rasch die Lösung: Die Moskauer Diener, mit Ausnahme Somows, wurden auf den Dachboden über dem Pferdestall umgesiedelt. Auf diese Weise wurden zwei Zimmer frei, das eine würde ich dem Engländer geben, das andere dem Koch des Großfürsten, Maître Duval, der sonst beleidigt wäre.
    »Wo ist Herr Smily?« fragte ich Lord Banville auf französisch nach seinem Haushofmeister, dem ich ja die nötigen Erklärungen geben mußte.
    Wie die meisten ausgebildeten Haushofmeister hatte ichals Kind Französisch und Deutsch gelernt, aber nicht Englisch. Erst in den letzten Jahren hat der Hof merklich anglophile Züge angenommen, und ich muß immer häufiger den Mangel meiner Ausbildung beklagen; früher galt Englisch als unfeine Sprache und für unseren Dienst entbehrlich.
    »Er hat gekündigt«, antwortete Mylord auf französisch und machte eine unbestimmte Handbewegung. »Mein neuer Butler Freyby ist dort in der Kutsche. Er liest ein Buch.«
    Ich trat zu der Equipage. Die Diener luden geschwind das Gepäck aus. Auf dem Samtsitz saß mit übereinander geschlagenen Beinen ein Herr mit rundem Gesicht und sehr wichtiger Miene. Er war kahlköpfig, hatte dichte Brauen und ein gepflegtes Bärtchen, kurzum, er sah nicht aus wie ein englischer Haushofmeister, überhaupt nicht wie ein Haushofmeister. Durch die offene Tür sah ich in seinen Händen ein dickes Buch mit goldenen Buchstaben auf dem Deckel: Trollope. Was das englische Wort bedeutete, wußte ich nicht.
    »Soyez le bienvenu!« begrüßte ich ihn mit einer höflichen Verbeugung.
    Er blickte mich durch seine goldgerandete Brille mit hellblauen Augen gelassen an, ohne zu antworten. Ich begriff, daß Mr. Freyby nicht Französisch sprach.
    »Herzlich willkommen!« wechselte ich ins Deutsche, aber sein Blick blieb genauso höflich-teilnahmslos.
    »You must be the butler Zyukin?« sagte er mit angenehmem Bariton, diesmal verstand ich nichts.
    Ich hob die Arme.
    Da steckte Mr. Freyby mit dem Ausdruck deutlichen Bedauerns das Buch in die geräumige Tasche seines Gehrocks und zog von dort ein anderes, wesentlich dünneres heraus.Er blätterte darin und sprach plötzlich verständliche Worte: »Du, Sie … müssen sein … Haushofmeister Sjukin?«
    Aha, ein englisch-russisches Wörterbuch, erriet ich und fand die Umsicht sehr löblich. Wenn ich gewußt hätte, daß Mr. Smily, der recht und schlecht Französisch sprach, inzwischen durch einen neuen Butler ersetzt worden war, hätte ich mir auch ein Wörterbuch angeschafft. Denn vor uns standen komplizierte und heikle Probleme, die wir gemeinsam lösen mußten.
    Mr. Freyby, als hätte er meine Gedanken gehört, zog aus der anderen Tasche noch ein Büchlein, das genauso aussah wie das englisch-russische Wörterbuch, und hielt es mir hin.
    Ich nahm es und las auf dem Umschlag »Russisch-englisches Wörterbuch«.
    Der Engländer blätterte in seinem Büchlein, fand das notwendige Wort und erklärte: »A present … Ein Geschenk.«
    Ich schlug mein Büchlein auf und sah, daß es klug und geschickt gemacht war: Die englischen Wörter waren mit russischen Buchstaben geschrieben, und die Betonung war angegeben. Ich machte sogleich die Probe. Ich wollte fragen: Wo ist wessen Gepäck? Heraus kam: »Uer … hus … laggetsch?«
    Er verstand mich!
    Mit lässiger Geste winkte er einen Lakaien heran, der einen schweren Koffer auf den Schultern trug, und tippte mit dem Finger auf ein aufgeklebtes gelbes Etikett. Darauf stand: Banville. Dann sah ich, daß auf allen Gepäckstücken Zettel klebten, gelbe mit dem Namen des Mylords, dunkelblaue mit der Aufschrift Carr und rote mit dem Namen Freyby. Sehr vernünftig, das sollte ich übernehmen.
    Mr.

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