Entführung des Großfürsten
zweiundvierzig Leute unter mir, in Zarskoje Selo vierzehn und auf der Krim dreiundzwanzig. Und alle sind auf dem richtigen Platz, das können Sie mir glauben. Selbst Pantelejmon Kusmitsch, der Haushofmeister des Großfürsten Michail Michailowitsch des Älteren, hat mehr als einmal zu mir gesagt: »Afanassi Stepanowitsch, Sie sind ein richtiger Psychologe.« Und er hat sich nicht gescheut, in besonders schwierigen Fällen meinen Rat einzuholen. So wurde ihm vor zwei Jahren im Palais in Gattschina ein Lakai zugewiesen, der zu nichts zugebrauchen war. Pantelejmon Kusmitsch quälte sich mit ihm herum und bat mich schließlich, ihn mir anzusehen: Ein hoffnungsloser Fall, sagte er, aber er bringe es nicht übers Herz, den Burschen rauszuwerfen. Ich nahm mich seiner an – wollte glänzen. Im Salon erwies er sich als untauglich, im Ankleideraum auch, erst recht in der Küche. Kurzum, eine harte Nuß. Aber eines Tages sah ich, wie er im Hof saß und durch eine Glasscherbe in die Sonne blickte. Ich wurde neugierig und trat näher. Er gab sich mit dieser Glasscherbe ab, als sei sie ein unschätzbarer Brillant: behauchte sie, rieb sie mit dem Ärmel blank. Da kam mir eine Idee. Ich beauftragte ihn, die Fensterscheiben im Haus zu putzen, und was denken Sie? Bald blitzten alle Fenster wie Bergkristall. Der Bursche brauchte nicht entlassen zu werden, er polierte nun von morgens bis abends Scheibe um Scheibe. Jetzt ist er der beste und gefragteste Fensterputzer in ganz Petersburg, und die Haushofmeister stehen bei Pantelejmon Kusmitsch Schlange, um ihn auszuleihen. Der Mann hat seine Bestimmung gefunden.
Kaum hatte ich im Haus die Uhren aufgezogen, kaum hatten die Diener die letzte Hutschachtel aus der letzten Kutsche ins Haus getragen, als die englischen Gäste eintrafen, und da erwartete mich eine überaus unangenehme Überraschung.
Wie sich herausstellte, hatte Lord Banville einen Freund mitgebracht, einen gewissen Mr. Carr.
Der Lord sah noch genauso aus, wie ich ihn in Nizza erlebte hatte: gerader Mittelscheitel, Monokel, Spazierstöckchen, Zigarre zwischen den Zähnen, am Zeigefinger ein Ring mit einem großen Brillanten. Wie immer makellos gekleidet, das Musterbeispiel eines englischen Gentleman. Schwarzer, ideal gebügelter Smoking (und das nach der Bahnfahrt!),schwarze Atlasweste und gestärkter blütenweißer Kragen. Kaum war er vom Trittbrett gesprungen, warf er den Kopf zurück und wieherte wie ein Pferd, womit er die Zofe Lisa höchlich erschreckte, mich jedoch keineswegs verblüffte. Mir war bekannt, daß seine Durchlaucht ein Pferdenarr war und das halbe Leben im Pferdestall verbrachte, daß er die Pferdesprache verstand und sie beinahe sprechen konnte. Jedenfalls erzählte das Großfürst Georgi, der Lord Banville in Nizza bei einem Rennen kennengelernt hatte.
Nachdem der Lord genug gewiehert hatte, streckte er die Hand aus und half einem Gentleman aus der Kutsche, den er als seinen teuren Freund Mr. Carr vorstellte. Ein solches Individuum wird man in unseren Breiten kaum treffen.
Sein Haar war von strohgelber Farbe, an den Enden eingerollt, wie es wohl in der Natur nicht vorkommt. Sein Gesicht war glatt und weiß, auf der Wange saß ein rundes Muttermal, das einem samtenen Schönheitspflästerchen glich. Sein Hemd war nicht weiß, sondern hellblau, dergleichen hatte ich noch nie gesehen. Der Gehrock war von hellem Aschblau, die Weste azurfarben mit goldenen Tupfen, und im Knopfloch steckte eine dunkelblaue Nelke. Besonders beeindruckten mich seine ungewöhnlich schmalen Stiefeletten mit Perlmuttknöpfen und zitronengelben Gamaschen. Der sonderbare Mensch trat vorsichtig auf das Pflaster, streckte sich graziös, und sein zartes puppenhaftes Gesicht nahm einen launischen, affektierten Ausdruck an. Da fiel sein Blick auf den Türhüter Trofimow, der an der Vortreppe stand. Dieser war kreuzdumm und zu keiner anderen Tätigkeit als der des Türhüters geeignet, sah aber recht respektabel aus: über zwei Meter groß, breitschultrig, runde Augen, dichter schwarzer Vollbart. Der englische Gast trat zu Trofimow, der,wie es sich gehört, stocksteif dastand, blickte zu ihm hoch, zupfte sodann an seinem Bart und sagte etwas mit hoher melodischer Stimme auf englisch.
Von den Neigungen Lord Banvilles hatten wir bereits in Nizza gewußt, so daß Großfürstin Jekaterina, eine sittenstrenge Person, keinen Umgang mit ihm wünschte, Großfürst Georgi hingegen, ein Mann mit freien Ansichten (der übrigens solche Herren aus
Weitere Kostenlose Bücher