Entfuehrung nach Gretna Green
beigewohnt, und keine davon war ihm jemals unter die Haut gegangen. Warum sollte er Energie auf etwas verschwenden, bei dem es sich lediglich um Gefühle handelte? Solche Dinge klärten sich meistens irgendwie, ohne dass jemand eingriff.
Trotz Mr. Oglivies erbärmlichem Geschluchze bezweifelte Gregor, dass Venetia sich tatsächlich in Gefahr befand. Höchstwahrscheinlich hatte sie einfach nur ihre Verabredung zu einem gemeinsamen Morgenritt mit ihm vergessen und war spazieren gegangen. Wenn sie zurückkam, würde sie ihm eine Nachricht schicken, und alles würde wieder in bester Ordnung sein.
Was auch immer in Wahrheit passiert war, Gregor fand, dass es an der Zeit war zu gehen. „Mr. Oglivie, ich verabschiede mich nun. Offensichtlich brauchen Sie in Ihrem Elend Ruhe, also werde ich mich empfehlen ... “
„Nein! “ Flehend streckte Venetias Vater ihm die Hand entgegen. „Lord MacLean! Ich bitte Sie - um Venetias willen, wenn nicht um meinetwillen! Sie ist ...“Er schluckte heftig, als wären ihm die Worte im Hals stecken geblieben, gleichzeitig suchte er verzweifelt Gregors Blick.
„Bitte“, stieß der ältere Mann mit dünner, brüchiger Stimme hervor, während sich seine Augen mit Tränen füllten. „Bitte helfen Sie mir, sie zu finden.“
Etwas in Oglivies Gesicht ließ das Blut in Gregors Adern gefrieren. Im Blick von Venetias Vater lag nackte Angst.
Es überlief Gregor heiß und kalt, und er fuhr Oglivie an: „Was ist passiert?“
„Sie ist ... Sie hat ...“ Wieder bedeckte Oglivie sein Gesicht mit den Händen, und ein lautes Schluchzen stieg zur Decke auf.
Gregor ballte die Hände zu Fäusten. Draußen rollten unvermittelt Donner durch die Luft, und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Die Absätze seiner Stiefel klangen hart auf dem Marmorboden, als er sich auf die Treppe zubewegte. Direkt vor dem älteren Mann blieb er stehen. „Was ist mit Venetia, Oglivie?“
Mr. Oglivie hob den Kopf. „Sie ist fort, MacLean! Entführt! Und alles meinetwegen!“
Die wenigen Sätze hingen bedrohlich in der Luft und verbreiteten eiskalte Angst. Abermals erhob sich vor den Fenstern der Wind, noch wilder und kälter als zuvor pfiff er durch die Ritzen der geschlossenen Tür und strich eisig über den Fußboden, wobei er den Saum von Lord Oglivies Nachthemd kräuselte.
„Wie können Sie schuld daran sein?“
Oglivies Lippen zitterten. „Weil er ... er hat mir gesagt, dass er mit Venetia davonlaufen wird und ich ... Ich habe ihn dazu ermutigt, weil ich dachte, sie würde es romantisch finden. Nicht eine Sekunde habe ich geglaubt, er würde es ohne ihr Wissen tun. Ich dachte ... “
„Wie lautet sein Name?“ Gregors Kiefer war so verkrampft, dass es schmerzte, die Worte hervorzustoßen.
„Ravenscroft.“
Vor Gregors innerem Auge tauchte das Bild eines jungen Mannes mit fliehendem Kinn und übereifrigem Gehabe auf. „Dieser Weichling? Den haben Sie ermutigt?“
Oglivie lief puterrot an. „Er schien mir höchst angetan von Venetia zu sein, und sie war immer sehr nett zu ihm ... “
„Sie ist zu jedem nett.“ Gregors Blick fiel auf den Zettel, den Oglivie immer noch in der Hand hielt. „Ist das von Venetia?“
Mit Tränen in den Augen reichte Oglivie ihm den Brief.
Gregor überflog ihn.
„Verstehen Sie doch, MacLean. Lord Ravenscroft hatte den Wunsch, sie zu heiraten, aber sie ist so schüchtern, und Oglivies zitternde Stimme brach, und er war nicht fähig weiterzusprechen.
Wütend zerknüllte Gregor den Brief. „Zur Hölle mit dem Kerl!“ Der Brief war in Venetias unverkennbarer geschwungener Handschrift geschrieben. Er enthielt lediglich die Mitteilung, sie begleite Ravenscroft nach Sterling, um nach ihrer Mutter zu sehen, wie diese es gewünscht habe. Der Tölpel hatte Venetia anscheinend weisgemacht, ihre Mutter sei krank.
Mit zitternder Hand wischte sich Mr. Oglivie über die Augen. „Ich kann nicht glauben, dass er so etwas getan hat. Ich dachte, er sei ein anständiger, zuverlässiger ... “
Doch Gregor hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und war auf dem Weg zur Tür.
„MacLean!“ Oglivie sprang auf und folgte Gregor bis zur Türschwelle, ohne zu bemerken, dass inzwischen ein eisiger Wind um die Hausecken fegte, obwohl es vor einer Stunde noch klar und frühlingshaft gewesen war. In dem Moment, in dem Oglivie ins Freie trat, riss ihm eine Böe die Nachtmütze vom Kopf und wirbelte sie die Straße hinunter. Vor Kälte zitternd rief er gegen das Heulen des Windes
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