Enthuellungen eines Familienvaters
dachte, ich würde um diese Zeit nie den Mut haben, an eine Tür zu klopfen, und ich müßte so die ganze Nacht herumwandern. Plötzlich sah ich aus einem Fenster im Erdgeschoß einen Lichtstrahl dringen. Ich faßte mir ein Herz und klopfte ein paarmal leise mit dem Finger.
Eine Tür öffnete sich. Eine gutmütige, weißhaarige, freundlich lächelnde Alte erschien mit einer Laterne in der Hand.
..Ich habe mich verirrt“, sagte ich. ,Ich muß in die Gegend von Monforte gehen. Können Sie mir den Weg weisen?“
,Monforte ?’ rief die gute Frau. ,Aber Sie sind ja über die Stadtgrenze hinaus. Sie werden den Weg nie allein finden. Ich werde Ihnen meinen Sohn mit dem Fahrrad als Begleitung mitgeben. Er muß zum Bahnhof gehen. Er ist Eisenbahner und muß gleich in den Dienst. Wenn Sie einen Augenblick warten, ist er fertig.’
Ich dankte der guten Alten. Ich wollte warten.
,Kommen Sie einen Augenblick herein’, lud mich die gute Frau ein. ,Sie werden müde sein, setzen Sie sich.’ Ich betrat arglos ein Zimmerchen im Erdgeschoß: ein weißes Bett, ein Tisch, drei Sessel, ein Backtrog, ein Kamin.
.Setzen Sie sich, setzen Sie sich nur“, sagte die Alte , ,mein Sohn kommt gleich herunter.“ Und sie schob mir einen Sessel hin. Ich ließ mich auf den Sessel fallen.
Und ich fand mich auf dem Boden. Es war ein harter Stoß.
Um mich wieder zu erheben, klammerte ich mich an die Tischplatte. Meine Hand griff in die Luft.
Alles war Luft: die drei Sessel, der Tisch, das Bett, der Backtrog.
Als ich aufgestanden war, sah ich die Alte nicht mehr.
Diese Alte waren Sie, gnädige Frau, ich kam in dieser Nacht auf wunderbare Weise nach Hause und konnte mich nach diesem infernalischen Plumps drei Tage lang nicht niedersetzen.
Das alles ist nicht schön. Man macht keine solchen Scherze mit Bürgern, die sich im Finstern verirren. Das Spiel mit dem Sesselwegziehen ist dumm; das mit dem Anbieten eines Sessels aus Luft ist gemein. Es ist, als würde man einem seit Tagen mitten in einer Wüste Verirrten die Fata Morgana einer Quelle vorzaubern. Wir kennen einander, gnädige Frau, und ich habe Grund, mich über Sie zu beklagen.
Aber nicht, um zu protestieren, schreibe ich Ihnen, sondern um Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. Nach dem Vergnügen, das ich Ihnen bereitet habe, glaube ich, das Recht dazu zu haben.
Ich werde Sie um nichts Ungewöhnliches, Bedeutendes, Unmögliches bitten. Nur um eine Kleinigkeit. Ich habe hier in diesen sechshundertzehn Kubikmetern von Mailand eine ganze kleine eigene Welt mit tausend Dingen, die ich liebe.
Ich weiß, daß ich alle eines Tages werde verlassen müssen.
Ich möchte nur zwei armselige kleine Dinge mit mir nehmen, wenn Sie kommen werden, um mit mir den letzten, endgültigen kleinen Scherz zu treiben, nämlich: mir die Erde unter den Füße wegzuziehen.
Lassen Sie mich für ein paar Tage ein kleines Endchen Bleistift und ein wenig Papier mitnehmen.
Ich versichere Ihnen ehrenwörtlich, daß ich mir mit diesen Gegenständen keinerlei Vorteile verschaffen will. Ich werde keine Geheimnachrichten weitergeben und keine Lotterienummern verraten. Ich werde nur das letzte Kapitel in das Buch meines Lebens schreiben. Einst habe ich mich verpflichtet, alle meine kleinen, unbedeutenden Geschichten zu erzählen. Lassen Sie mich mein Werk anständig zu Ende bringen.
Das hat keinen Sinn, sagen Sie? Alles hat seinen Sinn für einen, den es betrifft.
Im übrigen ist es nicht gerecht, daß jemand zu arbeiten aufhört, nur weil er nicht mehr diesem irdischen Hoheitsbereich untersteht. Ich rechne mit Ihrer Liebenswürdigkeit. Ich danke im voraus und grüße Sie.“
Alles ist ruhig in meinem Heim. Nehmen wir den Brief, trocknen wir die Tinte, stecken wir ihn in einen hübschen Umschlag, schreiben wir den Namen der Dame drauf, adressieren wir ihn postlagernd.
Ich bin gewiß, daß sie ihn bekommen wird.
Gehen wir zu Bett. Nun ist alles für die Zukunft in Ordnung gebracht. Jetzt kann das Rad sich weiterdrehen, solange es will.
Gehen wir zu Bett, leise, um keinen Lärm zu machen.
Margherita schläft; und ihre geschlossen Augen sagen nicht: „Giovannino, Giovannino...“
Das letzte Kapitel
Im Grunde ist es gar nichts. Es ist so ähnlich, wie wenn man sich einen Zahn ziehen läßt. Ein kurzer stechender Schmerz, dann ein Gefühl von unerhörter Leichtigkeit, von unendlichem Wohlbefinden. Kaum abgeschieden, tat ich einen Seufzer der Erleichterung: „Die Hauptsache ist erledigt.“
Dann betrachtete
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