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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovannino Guareschi
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welcher gerade zu weinen hatte, und sagte zu ihm; ,Mit Verlaub, Sie müssen auch für seinen Bruder weinen, er kann nicht kommen. Selbstverständlich werden wir Ihnen die Überstunde bezahlen.’
    Ich fühlte mich leicht wie eine Feder. Ich hatte Lust, meine Flügel auszuprobieren. Ich trat also ans Fenster und warf mich entschlossen in den leeren Raum.
    Ich fiel senkrecht hinunter wie eine bleierne Katze; es war mir nicht gelungen, die Flügel zu bewegen.
    Ein sehr schöner Herr mit einem großen Bart, einem sehr langen Hemd und zwei graugrünen Flügeln kam und las mich auf.
    ,Sie schauen ja gut aus’, sagte er. ,Wissen Sie nicht, daß Sie einen Kurs absolvieren müssen?’
    ‚Entschuldigen Sie’, antwortete ich ihm. ,Ich sterbe zum erstenmal. Ich kenne mich noch nicht aus.’
    Ich begann sofort mit dem Kurs und kam sehr schön vorwärts. In wenigen Stunden konnte ich schon bis zum dritten Stock fliegen; jetzt saßen sie zu viert um mein Bett und spielten Bridge.
    Ich schlief, auf einen Telegraphendraht gekauert; die Telegramme kitzelten mich ein bißchen an den Füßen, aber ich fühlte mich recht wohl. Am nächsten Morgen hatte ich kaum wieder mit meinem Kurs begonnen, als ein Herr mit Hemd und Flügeln mich anrief: ,He , Sie, bringen Sie Ihr Hemd und Ihre Flügel wieder ins Magazin. Sie müssen fort!’
    Ich fühlte mich unwohl. ,Ich habe ja nichts getan’, warf ich ein.
    ,Warum schickt ihr mich fort?’
    ,Scheintod’ , antwortete der Geflügelte mit einer verächtlichen Grimasse.
    Ein Alter neben mir brummte, zu seinen Zeiten habe es so was nicht gegeben.
    So befand ich mich unversehens wieder am Leben und in meinem Bett.
    Meine Braut sagte: ,Wie schön du warst, Sam, als du tot warst!’ Mein Onkel Filippo wandte sich mit einer verächtlichen Grimasse an meinen Neffen: ,Habe ich dir’s nicht gesagt? Ein Taugenichts! Nicht einmal sterben kann er!’
    Ich habe diese Worte niemals vergessen; sie liegen mir noch immer im Magen. Eines schönen Tages werde ich’s ihm zeigen, dem Onkel Filippo, daß ich sterben kann, viel besser als er!“
    Das ist Sams Geschichte. Und, sehen Sie, das nennt man Starrsinn! Oder vielmehr, wie es Tommaseo ausdrückt, „die Sucht, gegen die anderen in Worten oder in Taten recht zu behalten“. Starrsinn ist höchst gefährlich. Denn er führt zum Zusammenbruch, auch bei Personen von solider Struktur, und er kann enorme Verwirrung in die Familien bringen.
    Ich weiß von zwei Eheleuten, die so starrsinnig waren, daß jeder sich einmal bei einem Streit in den Kopf gesetzt hatte, das letzte Wort zu behalten; sie starben schließlich an Auszehrung. Und man könnte nicht behaupten, daß sie etwas davon gehabt hätten, denn die letzten vier Worte, die sie aussprachen, sprachen sie gemeinsam aus: „Wie dumm waren wir!“
    Ich weiß von zwei Schwarzhändlerinnen, die einander ausstechen wollten und sich so mit Juwelen beluden, daß sie schließlich unter dem enormen Gewicht elendiglich zugrunde gingen.
    Das ist der Starrsinn, die Rechthaberei! Tommaseo nennt ihn den einzigen Sinn, der sinnlos ist.
    Und Tommaseo hat recht.
    Ein Mann, der sich Diego Moor nannte und starrköpfig wie ein Muli war, vermählte sich und verlor die Gemahlin gleich wieder — und zwar wegen der Gipspfeifen des Schießstandes.
    Die zwei Jungvermählten fuhren auf die Hochzeitsreise; in Santabar sahen sie vor dem Bahnhof einen Schießstand mit Luftdruckgewehren.
    „Nun wirst du was sehen, Isabel! Sechs Schüsse, sechs Pfeifen.“
    So sprach Diego und begann zu schießen, aber die Pfeifen schienen verzaubert zu sein und kamen nicht herunter.
    Nach sechzig Schüssen berührte Isabel Diegos Arm und bat ihn, aufzuhören, weil es spät geworden war und sie noch im Hotel ein Zimmer nehmen mußten.
    „Nur noch sechs Schüsse“, antwortete Diego und schoß weiter, bis das Mädchen vom Schießstand ihm sagte, es sei Mitternacht und sie wolle die Bude schließen.
    „Ich zahle das Vierfache“, antwortete Diego und wandte sich um. Aber Isabel war nicht mehr da, und er sah sie zeit seines Lebens nicht wieder.
    Diego Moor, der sehr reich war, machte sich nun auf, die Welt zu durchstreifen. Eines Tages kam er auf die Piazza der Stadt Solivis, wo viele Leute vor einem Bierhaus standen. Der Wirt des Lokals hatte ein Faß Bier ausgesetzt für den, der imstande sei, sich fünfzig Meter rittlings auf einem Esel schurkischen Aussehens zu halten, den er in Piquir, der Heimat der verbrecherischen Esel, gekauft hatte. Viele

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