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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siri Goldberg
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schickte man sie in die falsche Richtung und es dauerte einige Zeit, bis sie den Fehler registrierte. Eine bucklige Alte zeigte ihr schließlich gestenreich eine Abkürzung. Clara rannte einen stinkenden Seitenkanal entlang. Sie fürchtete, zu spät zu kommen, und steigerte ihr Tempo.
    Ihr wurde warm.
    Endlich gelangte sie zu einem Platz mit einem Café und einem klassizistischen Gebäude, das für ein Opernhaus beinahe zu schlicht wirkte. Zwischen den Säulen schimmerte etwas Goldenes hindurch. Der Phönix! Das wunderbare Fabeltier, dem das Opernhaus Fenice seinen Namen verdankte. Ein passender Name, fand Clara, denn wie man es den Phönixen nachsagte, war das teatro schon zweimal vom Feuer verschlungen worden und aus der Asche wiedererstanden. Ehrfürchtig huschte Clara unter dem Vogel hindurch.
    Auf halbem Weg zum großen Saal stieß sie mit einem rotgesichtigen Mann zusammen. Er entpuppte sich als Signor Baldessarini, Sergio Baldessarini, der Dirigent des heutigen Konzerts. Seine Glatze glänzte mit seinen Lackschuhen um die Wette. Mit scheelem Blick deutete er auf seine Armbanduhr.
    Clara erschrak. Mist! Sie hatte sich tatsächlich um eine Viertelstunde verspätet. »Bitte verzeihen Sie. Das ist mir sehr peinlich, aber die verwinkelten Gassen, die Seitenkanäle … Ich habe mich verlaufen.«
    Plötzlich hatte sie die Stimme ihres Vaters im Ohr: »Sei bei Proben immer pünktlich. Damit zeigst du deinen Respekt vor den anderen Musikern und vor der Musik. Nachlässigkeit in diesen Dingen ist das beste Mittel, um ein ganzes Orchester gegen dich aufzubringen.« Sie schämte sich.
    Baldessarini brummte etwas und schubste sie auf die Bühne. Sie begrüßte die Konzertmeisterin und entschuldigte sich in ihrem besten Italienisch für die Verspätung. Die Schöne lächelte blasiert, die Stimmung war eisig.
    Mit einem mulmigen Gefühl setzte sich Clara an den Flügel und wollte den Dirigenten nach seinen Tempovorstellungen fragen, doch der würdigte sie keines Blickes. Er hatte schon den Einsatz gegeben. Die Streicher begannen mit dem Dum-dong-dum-ping-pliii-didldidim und nie, wirklich niemals, hatte sie den Anfang dieses großartigen Konzerts so schlapp und träge gehört. Verwässert. Farblos. Langweilig hoch fünf!
    »Wenn du spürst, dass dir die Orchestermusiker nicht gewogen sind, dann kämpfe. Versuche, sie zu packen. Die Musik ist deine Waffe, also Augen zu und durch!«, hatte Paps ihr eingeschärft. Und seine Ratschläge waren Gold wert.
    Clara atmete tief durch, krempelte ihre Ärmel hoch und beschloss, es dem uninspirierten Haufen zu zeigen. Gleich bei ihrem ersten Einsatz zog sie das Tempo etwas an. Den bösen Blick des Dirigenten nahm sie gern dafür in Kauf. Sie spielte, als ginge es um ihr Leben. Die Sechzehntelläufe perlten, die Triller klingelten, die Akkorde protzten, die Melodie leuchtete, als wäre im kleinen Finger ihrer Rechten die Gurgel der Callas versteckt. Noch ehe die Hälfte des ersten Satzes vorüber war, merkte sie, dass das Orchester allmählich mitzog. Die Hörner intonierten besser, die Flöten spielten weniger schrill, die Celli weniger behäbig.
    Im zweiten Satz fraßen ihr die Musiker bereits aus der Hand. Die tiefen Streicher nahmen sich zurück, die Violinen trumpften mit einer warm schimmernden Kantilene auf, und als das Klavier darauf antwortete, schien sich das ganze Orchester in ein einziges Ohr zu verwandeln, das ihr zuhörte und einen kuscheligen Klangteppich legte, über dem sie sich entfalten konnte.
    Im dritten Satz explodierte der Laden. Der Dirigent, dessen glänzende Glatze nun auch noch von einem Schweißfilm überzogen war, dirigierte mit einem Lächeln. Bei jedem Schlag seines Taktstocks spritzten Tröpfchen in alle Richtungen. Das Pizzicato der Streicher federte, dass es eine Freude war, Oboen und Fagotte antworteten näselnd, die Flöten spitz. Clara blieb nicht mehr viel anderes zu tun, als sich tragen zu lassen. So machte Klavierspielen Spaß!
    Der Schlussakkord war noch nicht ganz verhallt, als Baldessarini seinen Taktstock fortwarf, sie vom Klavierhocker riss und in einer herzlichen Umarmung an seine nass geschwitzte Brust presste. Die schöne Konzertmeisterin lächelte immer noch blasiert, aber ihre Kollegen hatte Clara auf ihrer Seite.
     
    Erleichtert kehrte sie in ihre Unterkunft zurück. Sie öffnete das Fenster, um die Geräusche des Wassers hereinzulassen, das schmatzend gegen das Fundament des Hotels rollte. Dann ließ sie sich aufs Bett fallen. Zwar war

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