Entsorgt: Thriller (German Edition)
und genoss es. Sie blickte in den Spiegel. Sie war schön und das wusste sie. Sie hatte keinen Schimmer, womit sie es verdient hatte, in einem Kaff festzustecken, in dem die Zukunft nichts zu bieten hatte. Abgesehen von Sozialhilfe, Nachmittagstalkshows und einem Leben als alleinerziehende Mutter waren Klatsch, Eifersucht, Komasaufen und die bitteren Tränen über den Verlust ihres guten Aussehens das Einzige, worauf sie in dieser Diaspora hoffen durfte. Sie war keineswegs so dumm zu glauben, ihre Schönheit würde ewig währen. Wenn sie von ihr profitieren wollte, dann wurde es Zeit, jetzt damit anzufangen. Je früher sie ging, desto schneller konnte ihr zweites Leben, ihr wahres Leben beginnen.
Bloß der Weg hier raus war ihr noch nicht so richtig klar. Sie wusste, dass es nicht damit getan war, einfach nach London zu trampen und darauf zu hoffen, dass dort schon alles besser werden würde. Sie hatte von anderen Mädchen gehört, die es genauso gemacht hatten. Einige waren nach ihrer Rückkehr, zerrüttet von der Stadt und ihren Bewohnern, überglücklich gewesen, sich wieder in jene Form pressen zu lassen, die diese Gesellschaft für sie bereithielt, dankbar für die Sicherheit der eigenen Bedeutungslosigkeit. Andere waren zwar nicht wieder zurückgekehrt, aber anhand der Stille, die sie hinter sich zurückgelassen hatten, konnte man erkennen, dass ihnen kein Erfolg beschieden war. Ihr einziger Erfolg lag darin, im Laufe der Zeit alle großen Pläne aus den Augen verloren zu haben. Sie hatten versagt. Es war kein Wunder, dass sie niemals zurückkehrten, hing ihnen doch das stinkende Miasma des Unglücks an, wie der Geruch von Krankheit. Wie sollte sich eine Familie vom Makel eines solchen Werdegangs reinwaschen, hier, wo jeder lästerte und gleichermaßen von Gerüchten zerstört werden konnte, ohne überhaupt zu ahnen, dass er in Ungnade gefallen war?
Nein. Diesem Pfad würde sie nicht folgen. Sie würde ihre Flucht planen, und sie würde ihre Ziele mittels gründlicher Vorbereitung erreichen. Es gab einen richtigen Weg heraus aus dieser Stadt, und sie würde ihn finden. Sie würde Agatha Betty Smithfield weit hinter sich lassen und sich verwandeln. Wenn sie schließlich zurückkäme, dann hoch erhobenen Hauptes und allen Widrigkeiten zum Trotz. Und diejenigen, die daraufhin nicht voller Stolz auf sie wären, würde der Neid zerfressen.
Das Wissen darum erlaubte es ihr, die Stufen ihres uninspirierenden Elternhauses herabzusteigen, eines Hauses, von denen es in dieser Siedlung nur so wimmelte, inklusive der dazugehörigen uninspirierenden Familie. Das Wissen darum erlaubte es ihr, ihren Platz am Tisch einzunehmen, zu lächeln und den faden Scheiß zu essen, den ihre Mutter Tag für Tag kochte. Sie konnte es, weil es Teil ihres Plans war. Ihre Zeit würde kommen. In ein paar Monaten, Wochen oder Tagen würde sich ihr die Gelegenheit bieten, auf die sie so lange gewartet hatte. Ein Gefühl der Vorfreude überfiel sie.
Richard Smithfield sah sie über den Brillenrand hinweg an. Eine Kröte von einem Mann, nicht verschwitzt, sondern ölig.
»Sieh mal einer an. Die Königin bemüht sich zu uns herab.«
Sie setzte sich an den Tisch. Donald schielte aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber und legte seine Gabel ab, aber er kaute bereits auf etwas herum. Das Lächeln ihrer Mutter, Pamela Smithfield, sah eher nach Angstbeißen aus.
»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast«, sagte sie, »und segne, was du uns bescheret hast.«
Sie murmelten »Amen«.
Donald aß weiter, alle anderen fingen damit an.
Aggie schob sich klumpiges Kartoffelpüree und trockenes Huhn in den Mund. Die Soße war braun, besaß aber keinerlei Geschmack. Sie roch noch nicht einmal nach etwas. Der einzig wahrnehmbare Geruch schien vom Müllzerkleinerer in der Küchenspüle zu kommen. Er war ständig verstopft. Entweder das, oder der Wind wehte wieder mal von der Deponie herüber. Sie ignorierte den Gestank und kaute weiter. Unter dem Tisch, zu ihren Füßen, wartete Sasquatch, der Golden Retriever, auf seinen Anteil vom Essen. Das meiste davon würde sie ihm heimlich zugesteckt haben, lange bevor man es als »Rest« bezeichnen konnte.
»Wow, Mutter, das ist aber lecker«, sagte sie.
Zögernd kehrte ein unsicheres Lächeln zurück auf Pamela Smithfields Gesicht. Sie sagte kein Wort.
Und auch niemand sonst.
Es schmeckte nicht nur wie Rost, es sah auch wie Rost aus. Er knibbelte ein angetrocknetes Stück davon ab. Es löste sich widerstrebend, wie
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