Enwor 1 - Der wandernde Wald
Reitern entstand für einen kurzen Moment Unruhe, als sie die beiden Gestalten der Satai auf den Hügeln über sich gewahrten. Eines der reiterlosen Pferde kreischte erschrocken auf und ging durch.
»Es sind Freunde!« rief Bernec noch einmal. Er hob die Arme und fuchtelte wild mit den Händen in der Luft, als hätte er Angst, daß Skar und Del ihn nicht verstehen und trotzdem angreifen würden.
Skar winkte zurück und begann mit raschen Schritten die Düne hinunterzulaufen. Auf der anderen Seite des Hügeltales machte sich Del auf den Rückweg. Skar fühlte eine tiefe Erleichterung, daß es nicht zum Kampf gekommen war. Er hatte keine Angst davor gehabt, aber es war das erste Mal, daß er vor einem Kampf etwas anderes als Ruhe und angespannte Konzentration verspürt hatte. Er wollte nicht mehr töten. Diese Männer und Frauen — auch die Bewohner Ipcearns — waren nicht ihre Feinde.
Er und Del langten nahezu gleichzeitig bei der Gruppe an. Das Hügeltal war erfüllt vom aufgeregten Stampfen der Pferde, von Stimmengewirr und Lachen. Die Reiter stammten aus Went. Zwei von ihnen erkannte er wieder. Jemand drückte ihm einen prallen Wasserbeutel in die Hand, ein anderer reichte ihm Brot und Fleisch, kaum daß er ein paar Schlucke getrunken und seinen schlimmsten Durst gelöscht hatte. Er nahm beides an, trank und aß mit schnellen, gierigen Bewegungen und ließ sich zitternd gegen die Flanke eines Pferdes sinken. Das Tier zitterte vor Anstrengung. Es keuchte und verströmte einen durchdringenden, scharfen Schweißgeruch. Die Männer mußten ihre Pferde gnadenlos durch die Wüste gehetzt haben.
»Ich… ich bin froh, daß ihr mich verstanden habt«, keuchte Bernec, als Skar nach einem kurzen Moment der Ruhe zu ihm hinüberging. »Für einen Moment hatte ich Angst, ihr könntet mich nicht verstehen.«
»Was ist geschehen?« fragte Skar, ohne auf Bernecs Worte einzugehen.
Bernecs Gesicht verdüsterte sich. »Went ist besetzt«, sagte er dumpf. »Aber du fragst Nopath am besten selbst.« Er deutete auf einen blonden, breitschultrigen Jüngling in der grünen Kleidung der Waldläufer, der neben einem gestürzten Krieger niedergekniet war und ihm mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen Wasser einflößte.
Skar ging zu ihm hinüber und wartete geduldig, bis er den Mann versorgt hatte.
»Du bist Nopath?« fragte er.
Der Cearner sah auf. Skar erschrak beinahe, als er in sein Gesicht sah. Der Mann sah nur wenig frischer aus als sie selbst — der Wahnsinnsritt durch den Wald und die Wüste mußte seine Kräfte bis zum Äußersten strapaziert haben.
»Was ist passiert?«
Nopath zögerte sichtlich. »Ihr… seid verraten worden«, sagte er nach einer Weile. »Kurz nach eurem Aufbruch kamen Truppen aus Ipcearn. Sie haben Went besetzt. Die Garde wurde entwaffnet, und Mergell herrscht jetzt über die Stadt, wenigstens so lange, bis ein neuer Kommandant ernannt wird.«
Skar war nicht sonderlich überrascht. Er hatte nur nicht damit gerechnet, daß Seshar so schnell reagieren würde. »Und?«
»Sie haben Patrouillen ausgeschickt, die nach euch suchen sollen«, fuhr Nopath fort. »Jeder Mann in Cearn hat den Auftrag, euch zu verhaften und sofort nach Ipcearn zu bringen.«
Skar lächelte humorlos. »Wir sind einer diese Patrouillen begegnet«, sagte er grimmig. »Weiter.«
»Nichts weiter«, murmelte Nopath schulterzuckend. »Wir haben uns nach Dunkelwerden aus der Stadt geschlichen und ein paar Pferde gestohlen, um euch entgegenzureiten.« Er stand auf, rieb nervös die Handflächen aneinander und sah erst Skar, dann Del und schließlich Bernec an. »Went wartet auf deine Rückkehr«, sagte er entschlossen. »Wir sind bereit zuzuschlagen, sobald du es befiehlst.«
»Nicht so voreilig«, sagte Skar hastig. »Es nutzt niemandem, wenn wir Mergell und seine Soldaten aus der Stadt werfen. Seshar wird neue Truppen schicken.«
»Dann besiegen wir auch sie«, gab Nopath trotzig zurück. »Went ist stark genug, sich zu wehren. Wir haben Seshars Terror lange genug geduldet. Auch Ipcearn ist nicht uneinnehmbar.«
Skar seufzte. Er schüttelte den Kopf, bedachte Nopath mit einem fast mitleidigen Blick und wandte sich dann wieder an Bernec. »Ein Bruder von dir?« fragte er leise.
Aber Bernec blieb ernst. »Viele von uns denken so«, sagte er. »Nicht nur ich, Skar. Seshar hat den Bogen überspannt. Diesmal werden wir kämpfen.«
»Und dann?« gab Skar ruhig zurück. »Werdet ihr Ipcearn stürmen und die Könige hinrichten,
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