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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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langsam herankamen. Das graue Licht der Dämmerung ließ sie zu schwarzen Schatten werden, die sich gegen den Hintergrund des Waldes einzig durch ihre Bewegungen abhoben. Skar glaubte die Nervosität, die sich über der Gruppe ausgebreitet hatte, regelrecht sehen zu können. Die Hände der Männer ruhten auf den Griffstücken ihrer Waffen.
    Er nickte Bernec aufmunternd zu, drehte sich wieder um und preßte seinem Pferd sanft die Schenkel in die Seite. Das Tier warf den Kopf zurück und wieherte: ein leiser, heller Ton, der selbst jenseits der doppelten Dornenhecke noch deutlich zu hören sein mußte. Es spürte wohl die Nähe des Stalles und tänzelte nervös. Skar kraulte es sanft zwischen den Ohren: eine Bewegung, die wohl eher zu seiner eigenen Beruhigung diente als der des Tieres.
    Das schwere, hölzerne Tor wurde von innen geöffnet, als sie noch wenige Meter davon entfernt waren. Dunkelroter Feuerschein fiel auf den schmalen Waldweg heraus und ließ die Risse und Unebenheiten des Bodens überdeutlich hervortreten. Skar ritt in gleichmäßigem Tempo weiter und beugte sich tief im Sattel vor, um nicht mit dem Kopf gegen den niedrigen Torbogen zu stoßen. Rechts und links des Weges, der durch den schmalen Verteidigungsgürtel führte, brannten flackernde Feuer. Die Stadt war still; unheimlich still. Eine Ruhe, die wie in Erwartung irgendeines schrecklichen Ereignisses zu pulsieren schien.
    »Gib auf Bernec acht«, flüsterte Skar.
    Del nickte unmerklich. Sein Blick tastete nervös über die Doppelreihe schweigender Krieger, die den Weg jenseits der inneren Hecke flankierten. Es mußten an die fünfzig sein. Mergell hatte seine gesamte Streitmacht aufgeboten, um sie zu empfangen.
    Skar ritt unbeeindruckt weiter, passierte das zweite, innere Tor und brachte sein Tier wenige Schritte vor Mergell zum Stehen. Die gespannten Bögen in den Händen der Ipcearner folgten jeder seiner Bewegungen.
    »Ich wußte, daß wir uns wiedersehen«, sagte Mergell leise. Er sprach langsam und übermäßig betont, aber es gelang ihm nicht völlig, den nervösen Unterton in seiner Stimme zu leugnen. »Ihr habt es also geschafft«, fuhr er fort, deutlich zwischen Resignation und widerwilliger Anerkennung schwankend.
    Skar nickte. »Trotz der Bemühungen deines Freundes, ja.«
    »Ist er…?«
    »Tot«, bestätigte Skar. »Aber wir haben ihn nicht getötet, wenn du das wissen wolltest.«
    Mergell schwieg einen Moment. »Ihr hättet niemals hierherkommen dürfen«, sagte er dann.
    Skar zuckte scheinbar unbeeindruckt mit den Achseln. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er gleichmütig. »Aber wir sind nun einmal hier. Ich beneide dich nicht um deine Aufgabe, Mergell. Was willst du jetzt tun?« Er wies mit einem Kopfnicken auf die Krieger rechts und links des Weges und lächelte spöttisch.
    »Uns töten lassen?«
    »Nur, wenn es sein muß«, antwortete Mergell. »Ich habe Befehl, euch nach Ipcearn zu bringen. Dich, deinen Freund, Bernec —alle, die mit euch in der Wüste waren. Keinem wird ein Leid geschehen, wenn ihr euch fügt.«
    »Und wenn nicht?« lächelte Skar. »Du kannst uns umbringen, aber dann würdest du ganz Cearn in Brand setzen. Und du weißt es. Gib auf, Mergell. Du magst im Augenblick in der besseren Position sein, aber ich habe dir schon einmal erklärt, daß der, der einen Kampf gewinnt, nicht unbedingt der Sieger sein muß.«
    »Du verstehst nichts«, sagte Mergell gequält. »Du und dein Freund — ihr seid aus dem Nichts gekommen und zerstört unsere Welt. Ich sollte dich töten, gleich auf der Stelle, selbst wenn es mein eigenes Leben und das vieler anderer kostet. Aber es würde nichts mehr ändern. Ich könnte es dir befehlen, aber ich tue es nicht — ich bitte dich, Skar. Komm mit mir nach Ipcearn. Wir sorgen dafür, daß ihr dann unser Land unbeschadet verlassen könnt.«
    Skar schüttelte sanft den Kopf. »Es ist zu spät, Mergell. Es spielt keine Rolle mehr, was mit Del und mir geschieht.«
    Mergell schwieg eine Weile. »Ich glaube, du hast recht«, murmelte er dann niedergeschlagen. »Aber mir bleibt keine Wahl. Verstehst du das?«
    Skar nickte wortlos und ließ sich aus dem Sattel fallen. Drei, vier Pfeile zischten über den Rücken des Tieres hinweg, ein weiteres Geschoß bohrte sich Zentimeter neben ihm in den Boden. Skar rollte zur Seite, sprang auf die Füße und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen in die Reihe der Bogenschützen. Ein gellender, vielstimmiger Schrei zerriß die Stille.

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