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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gleiche zu spüren. Del war seltsam still geworden, und Coar und Bernec kauerten stumm und wie schutzsuchend aneinandergepreßt am Bug des Floßes. Selbst die Tiere hatten aufgehört, nervös an ihren Stricken zu zerren, sondern standen in verkrampfter, angespannter Haltung da, die Köpfe gesenkt und die Ohren ängstlich an den Schädel gelegt.
    Nach einer Weile stand Seshar auf und deutete auf eine halbrunde, gemauerte Bucht an der rechten Seite des Kanals. .Del nickte und griff ein letztes Mal zum Ruder. Das Floß schwenkte herum, glitt nahezu lautlos an die niedrige Kaimauer heran und kam mit einem knirschenden Geräusch zur Ruhe.
    »Vertäut das Floß«, sagte Seshar mühsam. »Und dann kommt. Wir holen die Pferde und die Lebensmittel später nach. Dort vorne ist die Treppe.«

De Stufen waren zu hoch und zu schmal gewesen und einem Körperbau angemessen, der nicht menschlich war.
    Das war die erste Warnung.
    Es folgten Räume und schräge, scheinbar sinnlos zueinander angeordnete Ebenen, Rampen und Stollen, die nach einer vollkommen fremden, nichtmenschlichen Geometrie errichtet worden waren. Selbst das Licht schien anders; fremd und umheimlich — krank. Das Gebäude war erfüllt von tanzenden Schatten und grauen, flackernden Bereichen voller gestaltloser Angst, und ihr Weg nach oben wurde zu einer Wanderung über einen dünnen, unsichtbaren Grat, hinter dem Terror und Wahnsinn lauerten.
    Und trotzdem, obwohl jeder einzelne von ihnen wußte, was sie erwarten würde, obwohl ihnen jeder Schritt, jeder Fußbreit Boden, über den sie gegangen waren, die Wahrheit ins Gesicht geschrien hatte, traf sie der Anblick mit ungeheurer Wucht. Keiner von ihnen war fähig, etwas zu sagen oder auch nur einen Schrek-kenslaut von sich zu geben. Das, was vor ihnen lag, schien sich jenseits aller Schrecken zu befinden, ein Teil einer Welt, die die Grenzen ihres Begriffsvermögens sprengte und nichts als Leere und tödliches, endgültiges Schweigen zurückließ.
    Sie standen auf einer runden, auf unmögliche Weise in sich selbst gekrümmten Plattform hoch über der braunen Ebene und starrten auf die Küste und das dahinterliegende Meer hinunter. Vor ihnen, nicht mehr als eine Meile entfernt, lag Urcöun.
    Skar fror. Der Wind war warm, und die Sonne brannte trotz der vorgerückten Stunde noch immer unbarmherzig vom Himmel, aber in ihm war nichts als Kälte, ein Gefühl, als wäre irgend etwas in ihm gestorben, stürbe noch, weil die Welt, in die sie vorgedrungen waren, menschliches Leben nicht erlaubte.
    Urcöun war ein Koloß, ein gigantischer, schwarzbrauner Leviathan, vor Urzeiten aus den tiefsten Sümpfen einer dämonischen Welt ans Ufer gekrochen und zu bizarrer Scheußlichkeit erstarrt.
    Skar versuchte vergeblich, die Form des ungeheuerlichen, mehr als eine Meile hohen… Dinges zu bestimmen. Es war schwarz. Schwarz und böse und abweisend, besudelt mit pockennarbigen braunen Flecken und warzigen Vorsprüngen, großen, schwärenden Wunden, Linien, die in ihren Augen schmerzten, und gestaltgewordener Angst. Skar versuchte sich einzureden, daß dieses Gebäude nicht wirklich häßlich war, nur fremd, unsagbar fremd, so anders und verschieden von ihrer eigenen Welt, daß sein Geist nur mit Abscheu und Furcht darauf reagieren konnte. Aber der Gedanke nutzte gar nichts. Plötzlich hatte er das Bedürfnis zu schreien, aber es ging nicht. Sein Blick löste sich mühsam von der schweigenden Scheußlichkeit Urcöuns, glitt über die braune, verbrannte Ebene zu seinen Füßen, tastete über kahlen Fels und glasige Schlacke und irrte schließlich zur Küste und in die Weite des Meeres hinaus, unfähig, das schreckliche Bild noch länger zu ertragen.
    »Oh, mein Gott«, stöhnte Coar neben ihm. Die Worte schienen weit über die Ebene zu hallen und als drohendes, boshaft verzerrtes Echo zurückzukehren; Lästerung, Häresie der dunklen Götter dieser Welt. Menschliche Stimmen hatten hier nichts verloren.
    »Ich habe euch gewarnt«, murmelte Seshar. »Ich sagte euch, daß euch die Wahrheit nicht gefallen wird.«
    »Aber warum…?« keuchte Bernec. »Was…?«
    Skar wandte sich mühsam um, schloß die Augen und ballte die Fäuste so heftig, daß seine Fingernägel tief in die Haut schnitten. Der Schmerz schien ihm fast wohltuend, willkommen, ein Freund, der ein Stück seiner eigenen Welt darstellte und ihm half, dem Wahnsinn wenigstens noch für eine kurze Weile standzuhalten. »Urcöun war niemals unsere Heimat«, sagte Seshar. Seine Stimme

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