Enwor 10 - Die verbotenen Inseln
Hof passiert war, etwas —
Hör auf!
dachte Skar.
Ich weiß, daß du es bist! HÖR AUF!
Er fuhr herum, starrte in die Dunkelheit und versuchte, die schlanke Gestalt seines höllischen Bruders zwischen den Felsen zu erkennen. Aber wenn er da war, so hielt er sich geschickt verborgen, ein Schatten zwischen den Klumpen geronnener Finsternis, in die die Nacht die Felsen verwandelt hatte. Nur seine Gedanken waren da, das tödliche Flüstern in Skars Kopf, und — Skar stöhnte. Wellen von wechselnder Kälte und Hitze durchfluteten seinen Körper. Seine Schläfen begannen zu pochen. Er hatte Schmerzen.
Du stirbst, Bruder. Betrete diesen Ort, und du stirbst.
Er starrte den
Daij-Djan
an, der nun doch gekommen war, ein schlankes tödliches Nichts, vielleicht wirklich, vielleicht nur in seiner Vorstellung real, das blieb sich gleich, und es waren gerade seine Worte, gerade diese Warnung, von der Skar wußte, daß er besser daran täte, sie ernst zu nehmen, die ihn schließlich dazu brachten, sich herumzudrehen und Titch zu folgen.
Der Quorrl hatte sich mittlerweile völlig durch den Felsspalt gezwängt und winkte Skar ungeduldig, ihm zu folgen. Skar ließ sich ungeschickt auf Knie und Ellbogen sinken, zog die Schultern zusammen und begann in die Höhle zu kriechen. Scharfkantiges Felsgestein schrammte über seine Schultern und an seinem Rük-ken entlang, und er fragte sich erneut, wie um alles in der Welt Titch es geschafft hatte, seine Titanengestalt durch den schmalen Spalt zu zwängen.
Eine schuppige Hand griff nach ihm und zog ihn auf die Füße, kaum daß der Druck des Felsens auf seine Schultern verschwand. Halb von Titch gezogen, halb aus eigener Kraft, stand Skar auf und sah sich um.
Es war nicht dunkel, wie er erwartet hatte. Sie befanden sich am Eingang eines gewaltigen Felsendomes, dessen Wände und Decke zerborsten und von Rissen und Schrunden überzogen waren, der Skar aber trotzdem fast zu gleichmäßig und eben geformt vorkam, um natürlichen Ursprunges zu sein. Ein rötlicher Schein, der aus dem Nichts kam, erhellte die Luft. Auf dem Boden lagen unförmige rote und braune und schwarze Brocken, Felsen, die aus der Decke gebrochen waren. Und unweit des Einganges ein toter Quorrl.
Skar fuhr überrascht zusammen, als er die verkrümmte Gestalt sah. Der Blick, mit dem Titch ihn maß, verriet ihm, daß der Anblick des Leichnames für ihn keine Überraschung darstellte. Titch war schon einmal hiergewesen. Und er war offensichtlich weiter vorgedrungen, als er bisher zugegeben hatte.
Angewidert und fasziniert zugleich trat Skar näher und musterte den Leichnam.
Daß es ein Quorrl-Krieger gewesen war, erkannte er nur noch an der schuppigen Rüstung und dem gewaltigen Breitschwert, das eine der mumifizierten Krallenhände noch umklammerte.
Der Körper mußte seit mindestens zehn Jahren hier liegen, dachte Skar. Fragend sah er Titch an, aber der Quorrl wandte sich rasch ab und ging weiter, so daß Skar ihm folgen mußte.
Die Höhle war weitaus größer, als Skar angenommen hatte.
Sie gingen gute zehn Minuten über den mit Trümmern übersäten Boden, ohne daß die jenseitige Wand auch nur einen Deut näher zu kommen schien, und sie fanden mehr tote Quorrl, mal einzeln, wie der Krieger am Höhleneingang, mal in ganzen Gruppen über- und nebeneinandergestürzt, und fast durchweg in dem gleichen fortgeschrittenen Stadium der Verwesung wie die erste Leiche.
Skar fror. Obwohl sie sich bereits tief im Inneren des Berges befinden mußten, war es hier drinnen merklich kälter als draußen. Ihr Atem zauberte kleine graue Wölkchen vor ihre Gesichter, wie Nebel, und ihre Schritte schlugen sonderbar widerhallende Echos aus dem zerborstenen Boden, und das Licht, dieses seltsame, fast unheimliche rote Licht, schien die Gestalt des vorausgehenden Quorrl zu umfließen wie leuchtendes Wasser.
Unwirklich,
dachte Skar. Das war das Wort, nach dem er die ganze Zeit über gesucht hatte.
Unwirklich.
Nicht falsch oder fremdartig; es war, als bewegten sie sich Schritt für Schritt in eine Welt hinein, die sich von der ihren so völlig unterschied, daß es einfach keine Bezugspunkte mehr gab. Keine andere Welt, sondern eine andere
Wirklichkeit,
als gäbe es neben ihr noch eine andere Realität. Aber wenn es so war, dachte er, welche war dann die
wirkliche
Welt?
Skar spürte, wie sich seine Gedanken zu verwirren begannen, aber er fühlte auch, daß er diesmal nicht mehr genug Kraft hatte, den Teufelskreis zu durchbrechen, in den
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