Enwor 11 - Das elfte Buch
Acht nehmen sollte, dass sie jederzeit über ihn herfallen konnten wie eine vor Hunger wahnsinnige Rattenschar — aber dann blieb immer noch genug Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
Was ihm dagegen akut Sorgen bereitete, war, dass er keine Spur von Esanna entdecken konnte. Es konnte sein, dass sich das Mädchen bei dem Sturz so schwer verletzt hatte, dass sie benommen und ohne zu wissen, was sie eigentlich tat, weggekrochen war, aber genauso gut konnte sie verschleppt worden sein.
»Habt ihr gesehen, was aus dem Mädchen geworden ist?«, fragte er leise.
Der neben ihm gehende Nahrak schüttelte den Kopf.
»Nein. Anderes war wiiiichtiger.«
»Ja«, sagte Skar mit einem ungerechten Zorn in der Stimme, »und deswegen müssen wir sie jetzt suchen.«
»Das wir niiicht müssen«, widersprach der Nahrak.
»Auch jetzt sein anderes wiiiichtiger.«
»Und was?«, fragte Skar fast gegen seinen Willen.
»Dem
Khtaam
zu entkommen«, sagte der Nahrak. »Und danach deeeen Krieg gegen die Quorrl zu beeeenden. Das Töten muss ein Ende haben.«
»Im Augenblick ist mir
dieses
Töten herzlich egal«, sagte Skar. »Für den Anfang würde es mir schon reichen, wenn wir endlich aus der Höhle rauskämen.
Mit dem Mädchen.«
Trotz seiner schroffen Ablehnung spürte er das tiefe Unbehagen, das die Worte des Nahrak in ihm ausgelöst hatten. Er wollte nichts mit einem Krieg zu tun haben, er wollte keine Verantwortung übernehmen — und er wollte nicht von ein paar dahergelaufenen kleinen, waffenlosen Männern zu irgendetwas genötigt werden.
»Es ist etwas daaa vorne«, sagte der Nahrak plötzlich.
Skar starrte angestrengt in das Halbdunkel. Auch ihm war während der letzten Schritte eine fast unmerkliche Veränderung aufgefallen; während die hinter ihnen liegende Höhle so groß war wie der Thronsaal der Margoi, kamen sie jetzt in einen schmalen, verwinkelten Bereich, mit vielen Nischen und Vorsprüngen, und teilweise schrumpfte die Breite des Durchgangs auf wenige Schulterbreiten, während gleichzeitig die zerklüftete Decke stellenweise so tief hinabreichte, dass er an einigen Stellen den Kopf einziehen musste. Doch irgendwo, dicht vor ihm, das konnte er geradezu spüren, tat sich wieder eine Höhle auf, die gigantisch sein musste und schon jetzt, kurz bevor sie sie erreichten, das Echo ihrer Stimmen merkwürdig verzerrt zurückwarf.
Aber was der Nahrak gemeint hatte, war etwas anderes.
Es war etwas, was ihn auf beängstigende Weise an seine Vergangenheit erinnerte, obwohl er wusste, dass er es noch nie gesehen hatte… und er spürte plötzlich, wie heiß und stickig es hier war und wie etwas seine Gedanken verwirrte, ein Entsetzen, eine Vorahnung oder schon eher das Wissen, dass ihm eine grausige Entdeckung bevorstand.
Der kühle Hauch, der bislang für einen ständigen frischen Wind gesorgt hatte, war einem stickigen, abgestandenen und fast brackigen Gestank gewichen, aber da war auch noch etwas anderes — der süßlich bittere Geruch nach Verwesung und Tod. Seine Bewegungen wurden schwerfälliger und er hatte das Gefühl kaum noch Luft zu bekommen. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise und seine Lungen schmerzten, als hätte er soeben eine außergewöhnliche körperliche Leistung vollbracht.
»Da«, sagte der Nahrak ungewöhnlich aufgeregt und deutete vor sich auf eine Reihe von Nischen, die sich wie aufgereiht vor ihnen an einer fast ebenmäßigen Wand entlangzogen. »Dort ist etwaaas.«
Skar schüttelte verwirrt den Kopf. Es waren nicht nur die Nischen, es war die ganze Höhle, die sich vor ihnen in unglaublichen Dimensionen eröffnete: Er konnte das drohende Unheil geradezu körperlich spüren. Vielleicht würde er hier auf die tote Esanna stoßen, vielleicht aber auch auf etwas anderes, von dem er nichts wissen wollte und das sich ihm in geradezu obszöner Weise präsentieren wollte.
Er ertappte sich dabei, wie er den Griff seines Schwerts fester umklammerte, so als habe er Angst, dass es ihm jemand entreißen könnte. Wie kam er bloß auf so verschrobene Gedanken? War es die morbide Atmosphäre hier unten oder war es tatsächlich so etwas wie eine Vorahnung? »Warum du niiiicht gehen weiter?«, fragte der Nahrak.
Die Frage war berechtigt, fand Skar, und doch konnte er sich nicht aufraffen auch nur einen weiteren Schritt in die Höhle vor ihm zu machen. Ganz im Gegenteil. Das beklemmende Gefühl in ihm nahm genauso zu wie die Atemnot und aus den vor seinen Augen tanzenden Flecken wurde eine Schwärze,
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