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Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vorsichtig auf den Boden, löste den Verschluß des anderen und reichte ihn Skar, nachdem sie selbst einen tiefen Zug genommen hatte.
    Skar trank, goß wenige Tropfen der kostbaren Flüssigkeit in seine Handfläche und fuhr sich damit über das Gesicht. Das Wasser war eisig und prickelte auf der Haut, aber es tat gut. Er gab Gowenna den Schlauch zurück und sah zu, wie sie noch einmal trank und sich anschließend, seinem Beispiel folgend, ebenfalls das Gesicht benetzte. Ihre Bewegungen hatten, trotz der Fertigkeit, die die Kälte ihren Gliedern aufzwang, etwas seltsam Graziöses an sich. Sie stand so, daß er nur den unversehrten Teil ihres Gesichts sehen konnte, so wie sie sich seit Tagen zunehmend so bewegte, daß ihre Narben unsichtbar blieben, und wieder — wieder nach einem Streit, dachte Skar mit einer Mischung aus Staunen und Erheiterung — spürte er Erregung. Plötzlich und ehe er sich selbst wirklich über die Bedeutung seines Handels im klaren war, ergriff er sie bei den Schultern, zog sie zu sich heran und küßte sie. Sie wehrte sich, aber nur einen Moment lang. Dann wurden ihre Lippen weich, und ihre Arme schlangen sich so heftig um seine Schultern, daß sie ihm fast den Atem abschnürten. Er spürte die Wärme ihres Körpers durch den dicken Stoff ihrer und seiner Kleidung hindurch, und ein aberwitziges, bohrendes Gefühl der Lust stieg in ihm auf. Er wollte sie schlagen, küssen, quälen und streicheln zugleich, sich an sie klammern wie ein Ertrinkender an einen Ast, die Nähe des einzigen lebenden Wesens, das es vielleicht in diesem Teil der Welt gab, spüren.
    Und als er ihrem Blick begegnete, spürte er, daß sie es wußte.
    Für die Dauer von drei, vier bangen Herzschlägen sah er sie an, und wie schon einmal sah er plötzlich alles mit phantastischer Klarheit — jedes winzige Detail ihres Gesichts, jede Falte, jede Linie, die die Jahre oder irgendein längst vergessener Schmerz hineingegraben hatten, und er sah auch das Gesicht unter dieser Maske, die wirkliche Gowenna, die sich unter stolzer Unantastbarkeit auf der einen und fleischgewordenen Flammen auf der anderen Seite ihres Antlitzes verbarg, das lebende, atmende, fühlende Wesen, und mit fast schmerzhafter Wucht wurde ihm klar, daß sie das, was er in diesem Moment fühlte, die ganze Zeit über gefühlt haben mußte, daß sie ihn hatte haben wollen, vielleicht schon vom ersten Augenblick an. Und er sah noch mehr. Als wäre plötzlich ein unsichtbarer Schleier, den sie die ganze Zeit über getragen hatte, beiseitegezogen worden, sprang ihn die Erkenntnis an, daß sie in Wirklichkeit viel mehr Frau war, als er jemals begriffen hatte. Eine sehr schöne Frau, eine Frau, die stolz auf ihren Körper und seine Vollendung gewesen war. Aber dieser Körper hatte erst zerstört werden müssen, ehe sie selbst soweit war, es zuzugeben.
    Warum jetzt? dachte er müde. Warum hatten sie sich erst bis ans Ende der Welt jagen lassen müssen, ehe sie — beide — erkannt hatten, was sie wirklich füreinander empfanden?
    Gowenna drehte mit einer kraftlosen Bewegung den Kopf zur Seite, damit sein Mund nur den lebenden, unversehrten Teil ihrer Lippen berührte, aber er hielt sie mit sanfter Gewalt fest. »Eigentlich müßtest du mich hassen«, sagte sie.
    »Ich habe es versucht«, antwortete Skar.
    »Und?« Sie lächelte, müde, traurig, aber auch resignierend. »Ist es dir gelungen?«
    Skar hob die Schultern. »Ich weiß es nicht«, antwortete er offen. »Ich weiß, daß ich irgend etwas für dich empfinde, Gowenna. Aber ich weiß nicht, ob es Haß oder Liebe ist. Vielleicht beides. Vielleicht... Nein, ich glaube nicht, daß ich dich wirklich hassen kann.«
    »Und warum nicht? Weil ich eine Frau bin und es vielleicht das letzte Mal ist?« Plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, versteifte sie sich in seinen Armen, und ihre Stimme, die zuvor weich und voller zitternder Begierde geklungen hatte, wurde plötzlich so spröde wie das Glas, das sie umgab. Ihre rechte Hand löste sich mit einem Ruck aus seiner Umklammerung und fuhr zu ihrem verätzten Gesicht, krallte sich in die kaum verheilten Narben, die der Atem des Drachen in ihr Fleisch gegraben hatte. »Nimmst du deshalb sogar das in Kauf? Lieber eine verstümmelte Frau als gar keine?«
    Ihre Worte hatten bewußt verletzend klingen sollen, aber der einzige Schmerz, den Skar spürte, war ihr eigener. Die Waffe war stumpf geworden, und ihr Angriff auf ihn nichts als ein letzter verzweifelter Versuch,

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