Enwor 4 - Der steinerne Wolf
zu dienen. Skar fiel die Unruhe unter den gewaltigen Vogelkreaturen auf. Sie waren für die Luft geboren; das Eingesperrtsein unter einem Himmel aus Stein mußte sie rasend machen.
»Wenn du mit deiner Musterung fertig bist, dann können wir vielleicht gehen«, sagte Legis hinter ihm.
Skar drehte sich betont langsam herum. Die
Errish
hatte ihren Schleier abgenommen. Jetzt knüllte sie ihn zusammen und fuhr sich damit über Stirn und Augenpartie, um den Ruß zu entfernen. Das schmale Metalldiadem glitzerte wieder auf ihrem Turban. »Gehen? Wohin?«
Legis verzog ungeduldig die Lippen. »Ihr seid nicht zur Erholung hier, Satai«, sagte sie. »Ich bringe euch jetzt zu unserer Führerin — sie wird entscheiden, was mit euch zu geschehen hat.«
Die Worte kamen Skar steif vor; ein eingelernter Text, den sie schon wer weiß wie oft wiederholt hatte, aber sie waren nichtsdestoweniger ein Befehl.
»Und Herger?«
»Zuerst du«, sagte Legis, ohne seine Frage direkt zu beantworten. »Einem Satai gebührt natürlich die Ehre, als erster vorgelassen zu werden.«
Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar, aber Skar verbiß sich die sarkastische Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Schweigend folgte er der
Errish
zum Ausgang. Zwei der mächtigen Quorrl-Krieger eskortierten sie, mit den Händen auf den Waffen. Skar beobachtete es mit einer Mischung aus Zorn und widerwilliger Anerkennung. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Quorrl, aber wie die meisten Menschen hatte er sie bisher für einen Haufen unzivilisierter Wilder gehalten. Was er hier — zumindest bis jetzt —gesehen hatte, schien eher das Gegenteil zu beweisen. Die Krieger demonstrierten eine Disziplin, an der jeder General aus Ikne oder Kohon seine helle Freude gehabt hätte.
Ein neues Rätsel. Aber auch das würde sich auflösen.
Als sie die Höhle verließen, war Skar für einen Moment so gut wie blind. Von oben hatte er zahllose Feuer gesehen, aber von hier aus betrachtet, lag das Tal in absoluter Finsternis da — allenfalls der sanfte, rötliche Schimmer in der Luft über dem Lager hätte einem aufmerksamen Beobachter verraten können, daß dieser Teil der Ebene nicht so tot war, wie es schien.
»Wohin?« fragte Skar.
Legis deutete wortlos nach links in den abzweigenden kürzeren Teil der Schlucht. Skar hörte zahlreiche Stimmen, als sie weitergingen — menschliche Stimmen, aber auch die gutturalen Laute verschiedener Quorrl-Dialekte, und ein paarmal bewegten sich vor ihnen Schatten, ohne daß er erkannt hätte, ob er einen Menschen, einen Quorrl oder eine andere Kreatur vor sich hatte. Aus dem Wald am hinteren Ende des Tales wehte ein schwerer, süßlicher Geruch zu ihnen her, und einmal glaubte Skar, ein Raubtier brüllen zu hören.
Schließlich betraten sie eine weitere Höhle. Auch sie war mit einem dichten Vorhang aus geflochtenen Pflanzenfasern verschlossen, damit kein verräterischer Lichtstrahl nach außen dringen konnte. Sie war aber viel kleiner als der Stall der Daktylen — eine drei Meter hohe Blase im Gestein, in deren Wänden zahlreiche unregelmäßig geformte Löcher gähnten: Durchgänge zu anderen Höhlen. Es mußte ein ganzes Labyrinth von Höhlen und unterirdischen Gängen sein, in dem die Rebellen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wahrscheinlich war auch die Schlucht nichts anderes als ein gewaltiger unterirdischer Hohlraum, dessen Decke irgendwann einmal eingestürzt war. Ein idealer Ort, um sich zu verbergen. Aber auch eine Falle, sollte das Versteck jemals entdeckt werden.
Legis gebot Skar mit einer knappen Geste zurückzubleiben, sagte ein Wort zu den beiden Quorrl, die hinter ihnen die Höhle betreten hatten und rechts und links des Einganges stehengeblieben waren, und verschwand in einem der Durchgänge.
Skar sah sich unruhig um. Auch in dieser Höhle brannten viele Fackeln, als wollten die Bewohner dieser unterirdischen Welt das Gewicht des Felsens über ihren Köpfen mit einer Flut von Licht vertreiben. Skar versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, hier zu leben — schon jetzt spürte er ein leises Unbehagen, und es war kein Gefühl, das durch seinen Hunger oder die Erschöpfung allein ausgelöst wurde. Es war eine chtonische Welt voller Dunkelheit und Kälte und Nässe und hallender Gänge.
»Wie lange lebt ihr schon hier?« fragte er einen der Quorrl.
Der Schuppenkrieger schwieg, und Skar unterließ es, ihn noch einmal anzusprechen. Vielleicht verstand das Wesen ja auch seine Sprache gar nicht.
Skars
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