Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Dämmern, in dem er alle Geräusche und Bewegungen in seiner Umgebung weiter registrierte und nur sein Körper ruhte.
Irgendwann, nach Stunden, vielleicht auch nur Minuten, rüttelte ihn jemand an der Schulter. Er öffnete widerwillig die Augen und blinzelte in Dels Gesicht.
»Dort draußen ist etwas.«
»Ja«, murmelte Skar verschlafen. »Eis und Schnee und noch mehr Eis. Weck mich, wenn du eine Oase siehst.«
Del verzog verärgert das Gesicht, packte ihn — wesentlich unsanfter als beim ersten Mal — bei den Schultern und riß ihn grob von seinem Lager hoch. Skar streifte seine Hand ab, blieb einen Herzschlag lang benommen sitzen und stemmte sich dann vollends auf die Füße. Die Fackel neben dem Eingang war fast heruntergebrannt. Er mußte vier oder fünf Stunden geruht haben. Nicht viel. Aber es war doch mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Automatisch drehte er den Kopf und sah sich nach Gowenna um. Sie war nicht mehr da, nur ihre Decken lagen noch neben ihm.
Skar zweifelte keine Sekunde an Dels Worten. Aber es fiel ihm seltsam schwer, ihre wahre Bedeutung zu erfassen, und so wenig, wie er bisher wirklich geschlafen hatte, gelang es ihm jetzt, wirklich wach zu werden. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, um das taube Gefühl zwischen seinen Schläfen zu vertreiben, hob seinen Mantel auf und ging auf unsicheren Beinen hinter Del zum Ausgang.
Der Himmel war jetzt grau, nicht mehr schwarz, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich der erste Schimmer der Dämmerung über dem Meer zeigte. Er blieb einen Moment neben der Höhle stehen, nahm eine Handvoll verharschten Schnee auf und fuhr sich damit durch das Gesicht. Die Kälte half ihm, ein wenig klarer zu werden.
Aber er fühlte sich noch immer benommen.
»Wo?« fragte er.
Del wies nach vorne, zum Ende der Schlucht, der einzig möglichen Richtung, in der sie sich bewegen konnten. Skar lauschte, hörte aber nichts außer dem ewig gleichbleibenden Geräusch des Windes und dem Hämmern seines eigenen Herzens. Ein vages Gefühl von Furcht begann sich in seiner Seele zu rühren. Es wurde stärker, im gleichen Maße, in dem er die Benommenheit überwand und sich seine Gedanken weiter klärten. Wenn es jetzt soweit war, wenn der Dronte bis zu diesem Moment gewartet hatte, um seine Opfer zu schlagen, dann bestand für sie kaum eine Chance. Die Höhle, in die er die Männer geführt hatte, war nicht nur Schutz. Sie war auch eine Falle. Und trotzdem war er auf eine aberwitzige Art beinahe froh, daß es so kam. Noch vor wenigen Stunden hatten ihn die gleichen Worte, aus Helth' Mund gesprochen, in Zorn versetzt. Aber plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als im Kampf zu sterben. Schnell und schmerzlos.
»Gut«, erklärte er. »Du wirst mich begleiten. Wecke Gowenna. Sie und Helth werden hier auf uns warten. Wenn wir bis Sonnenaufgang nicht zurück sind, dann sollen sie ohne uns weiterziehen.«
Del drehte sich wortlos um und verschwand in der Höhle, und Skar wartete geduldig, bis er zurückkam. Der junge Satai hatte das zerbrochene Tschekal, das bisher in der Scheide an seinem Gürtel stak, gegen eine Waffe der Freisegler eingetauscht. Ein Schwert — ein bizarres gekrümmtes Ding mit zwei Schneiden und zahlreichen, wie Widerhaken nach hinten gekrümmten Spitzen. Keine Waffe für einen ehrenhaften Kampf, sondern ein Werkzeug zum Morden und Reißen und Schlachten. Über dem Arm trug er ein zusammengefaltetes Tuch, das Skar erst nach Augenblicken als seinen eigenen Mantel erkannte.
»Ich dachte, daß du das haben wolltest«, sagte Del.
Skar lächelte dankbar. Er warf das schmuddelige Wollcape, das er zum Schutz vor der Kälte übergestreift hatte, zu Boden und schlug sich statt dessen den viel dünneren schwarzen Satai-Umhang um die Schultern. Eine überflüssige und in dieser Umgebung vielleicht sogar alberne Geste, denn das Cape schützte kaum gegen den Wind und noch viel weniger gegen die Kälte. Trotzdem erfüllte es ihn mit einer beinahe kindlichen Freude, das Kleidungsstück nach so langer Zeit wieder auf der Haut zu fühlen.
Vorsichtig löste er die Handlappen, bewegte ein paarmal prüfend die Finger und zog das Schwert aus dem Gürtel. Wie Del hatte er seine Satai-Waffe verloren, und wie Del mußte er sich jetzt mit einem Schwert der Freisegler begnügen: eine schlanke, rapierähnliche Waffe aus gehärtetem Stahl, die gut in der Hand lag und fast nichts wog. Der Griff war trotz der darumgewickelten Lederriemen so kalt, daß es beinahe
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