Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Satai. Aber Rayans Letzten Willen. Du bist der Kommandant.«
»Und du Rayans Sohn«, gab Skar ebenso leise zurück. »Ich will keinen Streit mit dir, Helth.«
Der Vede lachte leise. »Ich beuge mich Rayans Wunsch. Er wußte, was er tat. Und ich beneide dich nicht um deine Aufgabe, Satai. Wahrhaftig nicht.« Er starrte Skar noch einen Herzschlag lang durchdringend an, wandte sich dann mit einem Ruck um und ging steifbeinig zum Heck. Skar sah ihm nach, bis er unter Deck verschwunden war. Er straffte sich. Helth' Worte hatten die letzten Hindernisse beseitigt. Er spürte, daß die Besatzung ihm gehorchen würde, ob er nun ein Fremder war oder nicht.
»Gut«, sagte er mit erhobener Stimme. »Ihr alle habt es gehört. Wendet das Schiff. Wir fahren zurück zum Eisstrand.«
G owenna löste mit spitzen Fingern den blutdurchtränkten Verband von Skars Arm, schüttelte den Kopf und tunkte den Stoffetzen mehrmals hintereinander in eine Schale mit Wasser. »Ich habe schon Wunden behandelt, die besser aussahen«, murmelte sie.
Skar verdrehte den Hals und bewegte die Schulter, um die Wunde besser sehen zu können. Der Bizeps war geschwollen und rot und blau angelaufen, der Muskel verkrampft und schmerzend, und die Haut glänzte fiebrig. Trotzdem war es nicht mehr so schlimm wie zu Anfang. Wenigstens konnte er die Hand wieder bewegen, wenn auch nicht gut. Ein Schwert würde er in den nächsten Tagen kaum damit führen können.
»Du hast Glück gehabt, weißt du das?« fragte Gowenna, während sie den Verband wieder anlegte und prüfend mit den Fingerspitzen über Skars Haut fuhr. »So ein Ding ins Gesicht oder in den Hals...»
Sie lächelte flüchtig, ließ sich zurücksinken und legte die Hände in den Schoß. Ihr Harnisch schrammte hörbar über das gefrorene Holz des Mastes. Es dämmerte. Die Sonne war bereits hinter der Krone der turmhohen Eismauer verschwunden, und die länger werdenden Schatten tasteten wie substanzlose Finger einer bizarren schwarzen Hand über den See. Rings um den flachen Eisstrand, an dem die SHAROKAAN angelegt hatte, schien noch die Sonne; ein winziger halbkreisförmiger Bereich goldener Helligkeit, von allen Seiten durch näher kriechende Schatten und Nacht bedrängt. Der Anblick erschien Skar von einer fast aufdringlichen Symbolik. Aber Symbole halfen weder ihm noch der Besatzung weiter. Was sie brauchten, war ein praktischer Vorschlag.
»Woran denkst du?« fragte Gowenna.
Skar lächelte. »Vielleicht an nichts. Wie kommst du darauf, daß ich denke?«
Gowennas Lächeln wurde um eine Spur spöttischer. »Man sieht es, großer weiser Meister«, sagte sie sarkastisch. »Außerdem höre ich deine Gedanken knirschen. Suchst du nach einer rettenden Idee?«
Skar nickte. Gowennas offenkundiger Spott war ganz und gar unberechtigt, aber verständlich. Eine Art Galgenhumor, der ihr helfen mochte, mit der Situation fertig zu werden. So wie Helth in stummes Brüten verfallen war, Del in verbissenes Nachdenken und ein Großteil der Mannschaft seine Angst mit hektischer Arbeit betäubte, war es bei Gowenna Sarkasmus, in den sie Zuflucht suchte. Er paßte nicht zu ihr, aber die Frau, die ihm gegenübersaß, hatte ohnehin kaum noch viel mit der Gowenna gemein, die er vor fünf Monaten in Cosh verlassen hatte. Durch Velas Verrat war mehr in ihr zerstört worden, als ihm bisher klargeworden war. Sie hatte mehr verloren als ihr Vertrauen und ihre Schönheit. Sie hatte sich selbst verloren. Ihr scheinbar irrationales Verhalten war nichts als ein verzweifelter Versuch, eine neue Identität zu finden. Sie war zeit ihres Lebens immer in Rollen geschlüpft. Selbst zum Schluß, als sie gegen die Errish kämpfte, hatte sie nichts als eine Rolle gespielt: die der Rächerin. Jetzt konnte sie das nicht mehr. Er dachte daran, was sie einmal über Vela gesagt hatte —daß sie nichts als ein Spiel spielte, ein gewaltiges, böses Spiel mit höchstem Einsatz, und in gewissem Sinne stimmte das noch immer. Aber jetzt war es ein Spiel, dessen Regeln ihr nicht vertraut waren, jetzt mußte sie mit einer Situation fertig werden, auf die sie nicht vorbereitet war und die in keine der Schablonen, nach denen sie bisher gelebt hatte, hineinpaßte. Vielleicht, dachte er, war nicht einmal ihr Haß echt. Vielleicht war es nur die einzige Reaktion, die ihr denkbar schien.
Er stand auf, reckte sich — vorsichtig, damit der frisch angelegte Verband nicht verrutschte — und trat an die Reling. Der weit geschwungene Eisstrand
Weitere Kostenlose Bücher