Enwor 8 - Der flüsternde Turm
ob er es für diesen Moment vielleicht war.
»Warte«, sagte er hastig. »Ich bin sicher, er wird reden.« Er beugte sich über Ian, machte sich einen Moment an seinem Helm zu schaffen und zuckte enttäuscht mit den Schultern, als es ihm nicht gelang, ihn zu lösen.
»Ich könnte ihn abreißen«, schlug Titch vor. »Aber ich weiß nicht, ob sein Kopf dabei auf den Schultern bleibt.«
»Unter dem Kinn«, sagte Ian hastig. »Ein kleiner Hebel. Leg ihn um.«
Skar suchte an der bezeichneten Stelle, fand den Hebel und hörte ein leises Klicken, als er darauf drückte. Ians Helm bewegte sich mit einem zischenden Geräusch einen Finger breit nach oben. Skar griff zu, zog ihn ganz ab und registrierte überrascht, wie schwer der klobige Helm war. Selbst ihm hätte es beträchtliche Mühe bereitet, stunden- wenn nicht tagelang mit diesem Ding auf den Schultern herumzulaufen.
Dabei war Ian kein kräftiger Mann, wie er erkannte, als er in sein Gesicht sah. Und er war wesentlich jünger, als er angenommen hatte. Seine Züge wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit denen Drasks und seines unheimlichen Doppelgängers auf: schmal, zerfurcht und hakennasig und von einem Haarschopf aus dünnem, fast weißem Haar gekrönt. Aber er war allerhöchstens dreißig Jahre alt. Seine Haut war blaß und wirkte fast krank, und die ohnehin dünnen Lippen waren zu einem schmalen, trotzigen Strich zusammengepreßt.
Und irgendwie wirkte er... zufrieden, dachte Skar alarmiert. In seinen Augen rangen Furcht und Zorn miteinander, aber da war auch noch etwas, ein mühsam zurückgehaltener Triumph, den Skar sich nicht erklären konnte, der ihn aber aufs höchste beunruhigte, Ian hatte Angst, aber er sah ganz und gar nicht aus wie ein Mann, der
geschlagen
war.
»So«, sagte Titch drohend. »Und jetzt sprich.«
Ian schnaubte verächtlich. »Worüber? Über euren
Sieg?«
Er betonte das Wort auf eine Art, die es wie bösen Spott klingen ließ. Titch schlug ihn. Nicht sehr fest und nur einmal, aber der Hieb reichte, Ians Unterlippe aufplatzen zu lassen und ihm ein neuerliches, qualvolles Stöhnen abzuringen.
»Titch«, sagte Skar mahnend. »Nicht. Wir erfahren nichts von ihm, wenn du ihn totschlägst.«
»Es ist noch einer da«, grollte Titch. Zornig packte er Ian, schüttelte ihn ein paarmal und warf ihn wuchtig wieder zu Boden.
Der Zauberpriester stöhnte. »Schlag mich ruhig, du Tier«, murmelte er. »Aber du änderst nichts damit. Ihr habt keine Chance. Wenn die Krankheit euch nicht umbringt, dann tun es die Drachen oder dieses Tal. Wir müssen gar nichts mehr tun.«
Titch ballte mit einem zornigen Knurren die Faust, schlug aber nicht zu, als Skar ihm einen warnenden Blick zuwarf.
Ein helles, singendes Geräusch ließ Skar mitten in der Bewe-gung erstarren. Alarmiert sah er auf, blickte Titch an, dann den bewußtlosen Zauberpriester und schließlich Brols Leichnam, ehe er begriff, woher das Geräusch kam: aus dem Inneren von Ians Helm.
»Was zum Teufel bedeutet das?« knurrte Titch.
Ians aufgeplatzte Lippe verzerrte sich zu einem dünnen Grinsen. »Warum wartest du nicht einen Augenblick?« fragte er. »Dann wirst du es sehen.«
Titch versetzte dem Zauberpriester einen weiteren Hieb, der ihn für Sekunden das Bewußtsein verlieren ließ, während sich Skar verwirrt über den riesigen Helm beugte. Das singende Geräusch hielt an und wurde ein wenig lauter, schien jetzt irgendwie
ungeduldiger, drängender
zu klingen, und als Skar den Helm hochhob und herumdrehte, erlebte er eine Überraschung: Trotz seiner enormen Größe war sein Inneres gerade ausreichend, Ians Kopf aufzunehmen; der Rest des sonderbaren Gebildes wurde von einer verwirrenden Ansammlung metallener Gerätschaften und unverständlicher Dinge eingenommen. Ein kleines, hellgrünes Licht flackerte Skar wie ein blinzelndes Auge entgegen. Und plötzlich hörte er eine Stimme: »Ian? Ian, melde dich! Was ist los bei euch? Brol! Ennart!«
»Zauberei!« entfuhr es Titch. Seine Augen wurden groß. »Das ist-«
»Das ist eine verdammte Falle, keine Zauberei!« keuchte Skar. »Sie wissen, daß wir hier sind!
Weg hier!«
Die beiden letzten Worte hatte er geschrien.
Titch und er sprangen gleichzeitig auf die Füße und fuhren herum, aber es war zu spät.
Als wäre die flüsternde Stimme aus Ians Helm ein Signal gewesen, erwachte die Nacht zum Leben. Ein Paar gigantischer, schwarzer Flügel verdunkelte den Himmel, und eine Sekunde später stieß eine Daktyle auf sie herab und griff
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