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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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Prüfung. Der größte Teil der Klinge, etwa acht Zentimeter, war unversehrt. Für die meisten Arbeiten war das Messer noch zu gebrauchen. Lucy bückte sich seufzend, hob das Buch auf, schob die losen Seiten hinein und strich den Deckel glatt.
    Erneut beugte sie sich über den Kadaver und berührte ihn mit dem Finger. Die Beine der Schildkröte sanken wie bei einer Stoffpuppe herab. Etwas Unappetitlicheres konnte Lucy sich gar nicht vorstellen. Aber jetzt einfach aufzugeben kam nicht infrage. Seit dem Morgen hatte sie nichts mehr gegessen, und das waren nur eine Schale Brei und eine Handvoll getrockneter, schrumpeliger Himbeeren gewesen, die muffig geschmeckt hatten. Lucy nahm ein paar Stücke Holz von dem dürftigen Stapel neben sich und legte sie ins Feuer.Sie hielt ihre Hand über den Topf. Es stieg kaum Dampf auf. Das Holz war zu grün, das Feuer wurde nicht heiß genug. Der Herdstein zischte schwach, als sie darauf spuckte; das Wasser in dem verbeulten Topf wollte und wollte nicht kochen.
    Sie seufzte. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und spürte, wie sich ihre Nägel in ihre Handflächen bohrten. Es war zu spät, um an diesem Tag noch ein vernünftiges Feuer zustande zu bringen. Die gesprenkelte Haut der Schildkröte und die zerfetzten Überreste ihres Halses nahmen schon eine ungesunde graue Farbe an. Und irgendetwas roch moderig und schlammig, wie brackiges Wasser. Das Wetter war zwar schon kühler geworden als in den vergangenen sechs Monaten, aber es war immer noch warm genug, um Fleisch rasch verderben zu lassen.
    Wenn die letzten vier Stunden nicht völlig umsonst gewesen sein sollten, musste sie etwas tun. Lucy nahm einen der schweren, vom Fluss rund geschliffenen Steine, die sie griffbereit aufbewahrte. Sie stemmte ihn in die Höhe und ließ ihn auf die Schildkröte fallen. Der Panzer zerbrach in verschieden große Teile. Ein paar Stücke waren groß genug, um sie mit dem Finger herauszupulen, andere waren winzig klein, wie gelbe Keramikscherben, und hatten sich in die ledrige Haut am Bauch der Schildkröte gegraben. Lucy pulte so lange, bis sie eine etwas größere Öffnung in den Schildkrötenbauch schneiden konnte. Dann schob sie, konzentriert durch den Mund atmend, ihre Hand in das Innere der Schildkröte und holte den Magen und die übrigen Eingeweide heraus. Im Verlauf des letzten Jahres hatte sie so viele Fische ausgenommen, dass tierische Gedärme sie nicht mehr allzu sehr störten. Eigentlich waren sie säuberlich zusammengefasste kleine Einheiten – wenn man gut darauf achtete, sie nicht zu verletzen. Lucy legte sie auf ein paar große Ampferblätter und deckte sie zu, wegen der Fliegen. Sie konnte sie später als Angelköder verwenden – mal sehen, ob die Welse und Aale Innereien lieber mochten als die Raupen, die Lucy üblicherweise verwendete.
    Sie drehte die Schildkröte um, zerschmetterte den oberen Teil des Panzers mit dem Stein und pulte so viele Panzerteilchen ab, wie sie nur konnte. Nachdem sie noch einmal ins Buch gesehen hatte, machte sie vier Schnitte, jeweils an der Innenseite der Beine, und entfernte die Haut. Sie ging leicht ab, so als würde man eine Banane schälen. Und mit ein paar weiteren kleineren Schnitten konnte Lucy der Schildkröte schließlich die Haut über die Füße stülpen.
    Sie fuhr mit den Fingern über die Haut und überlegte, ob sie wohl dick genug war, um damit die zahlreichen Löcher in ihren Stiefeln zu stopfen. Nichts verkommen lassen!, sagte sie sich und legte die Haut beiseite, um sich später damit zu befassen. Sie hatte schon mal ein Kaninchenfell und ein paar Eichhörnchenpelze bearbeitet und am Ende brauchbares, wenn auch stinkendes Leder erhalten. Es war steif und ließ sich nur schwer verarbeiten, aber als Flickmaterial war es genau richtig. Lucy wandte sich wieder dem zerlegten Kadaver zu und versuchte sich im Geiste in den Biologieunterricht der zehnten Klasse zu versetzen und sich an irgendetwas Nützliches zu erinnern. Damals war es um Frösche gegangen, so viel wusste sie noch. Gummiartige, künstlich aussehende und entsetzlich nach Formaldehyd stinkende Dinger. Wenn sie jetzt einen Frosch vor sich gehabt hätte, hätte sie ihm wie ein japanischer Koch mit Leichtigkeit innerhalb von zwei Minuten die Haut abziehen können.
    Sie hätte allergrößte Lust gehabt, die Schildkröte einfach wegzuwerfen und den vierten Tag hintereinander Eichelbrei und getrocknete Beeren zu essen. Aber ihr Eichelmehl wurde langsam knapp. Frischfleisch war

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