ePub: Drachenhaut (German Edition)
mit Honig und Orangenschale, und während sie ihn auf der Zunge zergehen ließ, bemerkte Lilya überrascht, dass sie hungrig war. Das war gut, denn ihr Großvater zeigte sich nicht weniger besorgt als Ajja, was Lilyas mangelnden Appetit anging.
Sie kostete deshalb nur noch sehr vorsichtig von dem süßen Mandelpudding und zog sich dann mit einem Glas ihres über alles geliebten Granatapfelsafts in die Fensternische zurück. Ajjawar hinausgeeilt, um das gewünschte Bad bereiten zu lassen, und Lilya genoss die Ruhe. Sie lehnte den Kopf an den sonnenwarmen Stein der Wand und schickte ihre Gedanken hinaus, in den Garten, über die hohe Mauer, zu den schneegekrönten Gipfeln des fernen Gebirges, über dem in eisiger Stille die weißköpfigen Adler ihre Kreise zogen.
Während sie so träumend saß, schabten die Finger ihrer guten Hand in einer langsamen, kreisenden, mechanischen Bewegung über ihren bösen Arm, um das tief sitzende, unaufhörliche Jucken und Brennen zu besänftigen.
»Dein Bad ist fertig, mein Zuckerstückchen.« Ajja stand in der Tür, einen Stapel weicher Tücher im Arm. Lilya fing ihren Blick auf, der mitleidig und ein wenig ängstlich auf ihr ruhte. »Tut es weh?«
Das Mädchen schob hastig den Ärmel aufs Handgelenk hinunter und stand auf. »Nein«, sagte sie schroff.
Im Bad ließ sie sich von ihrer Amme und der Sklavin entkleiden und waschen, dann setzte Lilya sich auf die runde Marmorbank in der Mitte des Raumes und genoss die Hitze. Die Schwaden, die den Raum erfüllten, dufteten nach Kräutern, und das Öl, mit dem Ajja sie nach dem Waschen eingerieben hatte, sorgte dafür, dass ihre böse Haut zu kribbeln aufhörte und sich weich und geschmeidig anfühlte.
Sie legte sich zurück und schloss die Augen, um ein wenig zu dösen. Die Sklavin stand schweigend neben der Tür. Sie hatte die Augen niedergeschlagen, aber Lilya spürte immer noch den Blick, der sie getroffen hatte, als sie ihrer Kleider ledig auf dem warmen Steinboden gestanden hatte. Die Sklavin gehörtezu denen, die vor Kurzem erst gekauft worden waren, nachdem ihr Großvater zwei der Alten ihre Freiheit geschenkt hatte. Ein Mädchen und ein Junge waren es, ungefähr in Lilyas Alter oder etwas älter. Dem Jungen war Lilya erst einmal flüchtig begegnet, er hatte sich eng an die Wand des Ganges gepresst, der zur Küche hinunterführte, und sein Gesicht in einer demütigen Geste mit den Händen bedeckt, um sie nicht ansehen zu müssen, wie es sich gehörte. Deshalb konnte sie nicht sagen, wie er aussah oder welchem Volk er angehörte.
Das Mädchen war nicht so dunkel wie Ajja. Sie musste teuer gewesen sein. Je heller eine Sklavin war, desto mehr Geld brachte sie auf dem Sklavenmarkt. Lilya warf unter gesenkten Lidern einen neugierigen Blick auf sie. Sie hatte schönes braunes Haar mit helleren Strähnen darin und eine Hautfarbe wie Milch mit einem Schuss Mokka. Genau genommen war sie sogar heller als Lilya selbst.
Lilya drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht zwischen den Armen. Ihr eigener Teint war kräftig getönt, ihr Haar schwarz wie die Mitternacht und sie hatte dunkelgrüne Augen ‒ das immerhin. Niemand hier im Haus ließ es sie spüren, dass sie nicht so zart und hell wie eine echte Sardari aussah. Ihr Großvater hätte jeden auspeitschen lassen, der seine Enkelin despektierlich behandelte. Aber Lilya bemerkte die verstohlenen Blicke, und sie konnte mit ihrem scharfen Gehör die geflüsterten Bemerkungen sehr wohl vernehmen, die hier und da fielen. Dass sie wohl kaum eine reinblütige Sardari sei. Dass der Herr (ihr Großvater) in Wirklichkeit wohl doch ihr Vater sein müsse und sie nur deswegen so verhätschele, weil sie die Tochter seiner dunkelhäutigen Favoritin sei. Dass deshalb seine Hauptfrau einstversucht habe, sie zu töten, und das sei auch der Grund, dass Lilya ... und hier wurde das Wispern und Flüstern immer so leise, dass sie die Worte nicht mehr verstehen konnte, aber sie wusste, was das Getuschel besagte. Sie kannte die Gerüchte und Geschichten, die durch das Frauenhaus, die Sklavenquartiere und die Bedienstetenkammern flogen wie Fledermäuse durch den nächtlichen Garten.
Lilya setzte sich auf und winkte der Sklavin, sie möge ihr das Badetuch bringen.
»Wie heißt du?«, fragte sie, während das Mädchen das Tuch um Lilyas Körper schlug, wobei es sichtlich vermied, allzu neugierig auf Lilyas bösen Arm zu starren.
»Mein Name ist Hennu, Herrin«, flüsterte das Mädchen mit
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