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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Form dazu.
    »Ich weiß auch nicht«, fand mein Mitbewohner und pfiimmte den Kork von einer Flasche Armagnac, »aber je länger ich von ihm zu dir und wieder zurück gucke, desto ähnlicher werdet ihr euch.«
    Wenn das wahr ist, dachte ich genervt, hielt mir ein Nasenloch zu und zwinkerte mit tränenden Augen, dann sollte ich vielleicht mal zum Arzt gehen.
    »Nu pack ihn weg, Jochen! Und stell die Flasche mal ein Weilchen beiseite. Du halluzinierst ja schon.«
    »Nein, warte!« Entgegen meinen Anweisungen nahm er einen ordentlichen Schluck, keuchte kurz - der Fusel war über zwanzig Jahre alt und hatte ein paar deutliche Umdrehungen mehr als der Ramazzotti -, kramte in seiner Schublade und zog schließlich das Erinnerungsfoto von unserer Einschiffung hervor. Es zeigte die gesamte Mannschaft. Pardon, die gesamte Decksmannschaft. Keine verschwitzten asiatischen Küchenschaben in löchrigen T-Shirts und auch keine osteuropäischen Schmiermaxe in verölten Overalls trübten die gestärkte blütenweiße Reinheit unserer für besondere Anlässe reservierten so genannten Dinner-Uniformen.
    »Sieh selbst!« Jochen tippte mit dem Finger und beugte sich zu mir herüber.
    So muss ein Feuerspucker riechen, dachte ich. Der seine Zündhölzer verlegt hat.
    Skeptisch hielt ich die Aufnahme ins Licht der Deckenleuchte.
    Da war eine gewisse, nicht von der Hand zu weisende oberflächliche Ähnlichkeit. Ahnliche Frisur, Haarfarbe, mal abgesehen mal von den Schläfen, und auch die Gesichtszüge wiesen möglicherweise ein paar Gemeinsamkeiten auf. Vor allem die beiden Zinken vornedran, musste ich zugeben. Trotzdem … Denn gleichzeitig waren wir grundverschiedene Typen, das sah man sofort. Der Erste Steward trug sein aufgesetztestes, strahlendstes Lächeln zur Schau, während ich - wie auf allen Gruppenfotos seit dem Kindergarten - mir eins feixte, als wäre ich gerade dabei, dem vor mir Stehenden munter von hinten ans Bein zu pinkeln. Was in diesem Fall Kapitän Zouteboom gewesen wäre.
    Dann setzte das Koka endlich ein und mit ihm die übliche, subjektiv empfundene, aber bis heute jeglicher Form von wissenschaftlichem Nachweis schuldig gebliebene geistige Klarheit.
    Und es traf mich wie ein Hammer.
    »Sag mal, Jochen«, sagte ich, und mein Herz wummerte mir in der Brust, dass es die Schiffsdiesel übertönte, »wir haben nicht durch irgendeinen blöden Zufall ein paar Albaner in der Crew? Oder, gottverdammt noch mal, unter den Gästen?«
     
    ZWEI
     
    Schwer zu sagen, wem die sattere Fahne voranflatterte, unserem Jochen oder Reverend Mycroft »Bill Gates« McNish, dem auf keine bestimmte Religionszugehörigkeit festzunagelnden, universellen Bordgeistlichen. Bauch vor, Schultern zurück, hielt er eine frei formulierte, kurze, aber prägnante und - ohne je in Rührseligkeit zu verfallen - zu Herzen gehende Rede, der alle Anwesenden mit ernster und gefasster Miene lauschten. Danach pfiff der Leichtmatrose auf seiner schrillen Pfeife, das Nebelhorn der Equinox tutete einen traurigen Ton, der Kapitän, der Schiffsarzt, der Security-Chef sowie die beiden Borddetektive salutierten mehr oder weniger stramm, der Geistliche hob das vor seiner Brust baumelnde Kreuz ins blasse Licht der nördlichen Morgensonne und die vier wartenden Jungmatrosen hievten den Kadaversack auf den hölzernen Handlauf der Reling und ließen ihn, Füße voran, über Bord rutschen. Wir alle sahen ihm nach, wie er fiel, schäumend ins dunkel dräuende Nass tauchte, noch einmal hochkam und dann ziemlich rasch sowohl nach achtern als auch Richtung Meeresgrund verschwand, gezogen von einem zwanzig Kilo schweren Glied der Ankerkette.
    »Meine Herren!« Kapitän Zouteboom verabschiedete uns mit einem kurzen, ernsten Rundblick und erklomm die Treppe zur Brücke, die Matrosen trollten sich zu ihren Aufgaben, und Pater McNish betrachtete lange und freudlos das Zifferblatt seiner Armbanduhr, während er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch speichelblasig und in aller Ausführlichkeit dem Erfinder der Morgenandacht die Pest an den Hals wünschte. Dr. Köthensieker hatte noch einen Patienten in der Krankenstation zu besuchen, Antonov boxte Jochen und mir gegen den Oberarm, zwinkerte uns, warum auch immer, kurz und verschwörerisch zu und verzog sich dann in sein Loch oder was immer es war, worin er hauste.
    »Meinst du, irgendjemand hat auch nur ein Wort seiner Predigt verstanden?«, fragte Jochen, mit einem Wink zu dem schwankend fluchenden Priester.
    Ich verneinte.

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