Er sieht dich wenn du schläfst
sind
wir auf dem Fest engagiert, das die Brüder Badgett zugunsten
des Altenzentrums ausrichten.«
»Wohnen die nicht in dem großen Haus…?«, fragte Denise.
»Ja, ja«, sprudelte es aus Marissa heraus, »und ich hab gehört,
dass sie einen Swimmingpool und eine Bowlingbahn im Haus
haben.«
»Wir werden dich bis ins Kleinste informieren«, versprach
Billy. »Komm. Wir holen deine Jacke.«
Als sie zur Garderobe gingen, nahm sich Sterling einen Augenblick Zeit, die gerahmten Fotografien an den Wänden zu
betrachten. Viele zeigten Nor mit Gästen an den Tischen. Einige
waren von Menschen unterzeichnet, die wahrscheinlich zeitgenössische Größen waren, überlegte er sich. Es gab Bilder von
einer glamourösen Nor auf der Bühne, die mit einer Band sang;
Billy, eine Gitarre in der Hand, trat mit einer Gruppe auf; Nor
und Billy zusammen auf der Bühne; Billy und Nor mit Marissa.
Sterling erkannte an den älteren Fotos, dass Nor früher eine
Nachtclubsängerin gewesen sein musste. Er entdeckte eine Serie
von Bildern, die sie mit einem Partner zeigten. Das Schild auf
dem Musikpavillon trug die Aufschrift NOR KELLY UND
BILL CAMPBELL. Billys Vater, dachte Sterling. Ich frage
mich, was ihm zugestoßen ist und wie lange sie das Restaurant
schon hat. Dann sah er auf einem alten Poster für eine Silvesterfeier in Nors Restaurant, dass sie schon lange in dieser Branche
tätig sein musste.
Nach einem letzten Kuss von Billy und Nor ging Marissa.
Obwohl Sterling wusste, dass Marissa ihn nicht sehen konnte,
fühlte er sich ausgeschlossen, da sie seine Anwesenheit nicht
irgendwie gespürt hatte.
Du bist albern, tadelte er sich. Doch als er Marissa mit Billy
sah, musste er unwillkürlich an das Kind denken, das er gehabt
hätte, wenn er Annie geheiratet hätte.
Billy und Nor vereinbarten, in einer Viertelstunde fertig zu
sein, und zogen sich eilig zurück, um die Garderobe zu wechseln. Sterling trat an die Bar, um die Zeit totzuschlagen. Dort
plauderte ein Stammkunde mit dem Barkeeper. Sterling setzte
sich auf einen Stuhl neben dem Mann. Wenn ich noch lebte,
würde ich mir einen Scotch bestellen, dachte er. Es ist bestimmt
schon lange her, seit ich den letzten getrunken habe. Nächstes
Jahr wird Marissa mich fragen, ob ich Hunger oder Durst bekomme. An sich habe ich nicht das Bedürfnis, zu essen oder zu
trinken, obwohl ich im Freien friere und mich in Autos eingeengt fühle.
»Weihnachten war schön, Dennis«, sagte der Gast gerade.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich es überstehen würde, das erste
Mal ohne Peggy. Wenn ich ehrlich bin, dann war ich drauf und
dran, mich an jenem Morgen zu erschießen, als ich die Treppe
runterging, doch als ich hierher kam, war es wie eine Familie für
mich.«
Ich werd verrückt, dachte Sterling. Das ist doch Chet Armstrong, der Sportreporter. Er fing gerade auf Kanal 11 an, als es
mich am Kopf erwischte. Damals war er ein hagerer junger
Mann, doch so wie er die Sportnachrichten rüberbrachte, hätte
man meinen können, jedes Spiel wäre entscheidend. Jetzt hat er
breite Schultern, weiße Haare und die markanten Gesichtszüge
eines Mannes, der die meiste Zeit im Freien verbracht hat.
»Ich hatte schon fast Gewissensbisse, weil Weihnachten so
schön war«, fuhr Armstrong fort, »aber ich wusste, dass Peggy
wahrscheinlich von oben zu mir herunterlächelte.«
Ich frage mich, ob Peggy überhaupt im himmlischen Warteraum war, dachte Sterling. Er wünschte sich, Chet würde seine
Brieftasche öffnen. Vielleicht trug er ihr Bild bei sich.
»Peggy war eine tolle Frau«, stimmte Dennis ihm zu, ein
muskulöser, rothaariger Mann mit großen, flinken Händen. Er
polierte Gläser und führte die Bestellungen aus, welche die
Kellner ihm auf Zetteln zuwarfen. Sterling bemerkte, dass Armstrongs Blick zu einem der gerahmten Bilder über der Bar wanderte. Sterling beugte sich vor, um es besser sehen zu können.
Es war ein Foto von Nor und Chet, der den Arm um eine zierliche Frau gelegt hatte. Das musste Peggy sein.
Ich habe sie tatsächlich gesehen, dachte Sterling. Sie hat im
Warteraum zwei Reihen hinter mir gesessen, blieb allerdings
nicht lange genug, um sich wirklich niederzulassen.
»Mit Peggy konnte man jede Menge Spaß haben, aber wehe,
du hast sie auf dem falschen Fuß erwischt«, erinnerte sich Chet,
leise vor sich hin lachend.
Oh, deshalb musste sie also kurz warten, dachte Sterling. Sie
war launenhaft.
»Hör zu«, sagte Dennis im Tonfall eines Beichtvaters, »ich
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