Er war ein Mann Gottes
ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass mein Liebster sich wie ein kleines Kind benahm, das sich ein Spielzeug ertrotzt hat und nach dem ersten Spielversuch feststellt, wie langweilig es ist.
Aber wie sollte es möglich sein, dass er von unserem wunderbar schönen, superzärtlichen ersten Abend am Meer und von seiner ersten so beglückenden, liebevollen Nacht mit mir enttäuscht sein konnte?
Hatte ich etwas falsch gemacht? Mir fiel nichts ein. Außer vielleicht, dass er sich zum Sex mit mir gezwungen gefühlt haben könnte.
Seit seiner Entlassung hatte Max mich bei jedem Treffen, bei jedem seiner von endlosen Zärtlichkeiten erfüllten Wochenendbesuche hingehalten. Küssen ja, Schmusen ja, Zärtlichkeiten ohne Ende, ja. Aber mehr?
»Jetzt nicht, Cora. Noch nicht. Lass mir Zeit. Ich brauch noch Zeit. Ich kann noch nicht. Ich bin noch nicht so weit. Die Haft, das ist doch nicht so spurlos an mir vorbeigegangen, wie ich immer dachte. Warte, bis wir in Tunesien sind. Dort wird alles anders. Dort bin ich ein neuer, ein anderer Mensch. Warte noch, Cora. Warte.«
Für jedes Wort hatte ich Verständnis gezeigt. Geduld wie ein Esel hatte ich bewiesen und alle meine sehnsüchtigen Wünsche hintangestellt. Ich hatte mich so innig darauf gefreut, die erste Frau für ihn zu sein und ihm diese Erfahrung so leicht, so schön, so beglückend zu gestalten, wie ich konnte.
Unter seinen Händen würde ich nicht erstarren. Ihn liebte ich. Ihn wollte ich. Unter seinem Begehren würde ich mich rückhaltlos hingeben. Es sollte mir vollkommen egal sein, ob er mich zufrieden stellen könnte oder nicht. Es würde keine Rolle spielen, wie geschickt oder ungeschickt er mich lieben würde. Was zählte, war allein, dass er mich liebte und begehrte und wir beide diese Liebe wollten.
Er hatte sich gewünscht, Vater zu werden. Wenn Gott wollte, würde ich ihm aus diesem Urlaub ein Kind schenken, es für ihn unter meinem Herzen tragen und mich gemeinsam mit ihm gesegnet fühlen.
Es hatte mir in diesen ersten Monaten seiner Freiheit wehgetan, mich in meinem Wunsch, Max glücklich zu machen, bescheiden und beschränken zu müssen. Aber ich hatte mich gern zurückgehalten. Nicht einmal geschmollt hatte ich oder meinen Frust gezeigt.
Für mich war klar, dass ich Max niemals bedrängen würde. Ich war ein Missbrauchsopfer. Ich wusste, wie es ist, wenn einem Sex übergestülpt wird, den man nicht haben will und nicht erwidern kann. Niemals würde ich Max mit meinen sexuellen Gefühlen und Bedürfnissen missbrauchen. »Nur nichts von ihm für mich verlangen, er könnte verschreckt werden, könnte mich verlassen.« Das hatte ich mir schon geschworen, noch ehe wir Brieffreunde wurden.
Und jetzt?
Ich wollte es nicht denken. Trotzdem formierten die Gedanken sich in mir. War dieser Urlaub etwa nur ein Test für Max? Ein Versuch, endlich zum ersten Mal Liebe mit einer Frau zu machen? Mit einer, die nicht Nein sagen würde? Die schon zu einem Vikar nicht Nein gesagt hatte? Die mit einem wie Frederic zufrieden gewesen war und deshalb auch mit einem wie Max zufrieden sein würde? Die keine hohen Ansprüche stellte?
Ging es Max womöglich einzig darum zu erfahren, wie es sich anfühlt, wie es funktioniert, eine Frau zu lieben? Was es in ihm auslöste, ob es wirklich so schön war, wie Männer immer behaupteten? Testete er sich nur, ob er überhaupt fähig zur Liebe mit einer Frau sei? Wollte er ausprobieren, ob es tatsächlich so viel anders, berauschender, einzigartiger wäre als Onanie oder Sex mit kleinen Jungs? Holte er mit mir bloß sexuelle Erfahrungen nach, die er bisher versäumt hatte? War ich die Frau seiner Wahl, weil ich ihm in den Knast geschrieben und ihm ständig ganz unmissverständlich gezeigt hatte, dass ich verliebt in ihn war? Hatte er mich genommen, weil das Angebot so billig war? Hatte auch er mich nur benutzt? Wie Frederic?
Mein Gott, ich wollte das alles nicht denken! Ich fand mich gemein, so zu denken. Am liebsten hätte ich meinen Kopf abgeschraubt und mitsamt diesen scheußlichen Gedanken ins Meer geschmissen. Dennoch blieb von nun an der Funke des Misstrauens, der, wie ein glimmendes Streichholz tief unten in einer Scheune voller Stroh, sein Werk in meiner Seele begann.
Urlaub in Tunesien, das war Hotelbetrieb, Swimmingpool, Badefreuden, Sauna und Massagen, dazwischen ein Trip in die Wüste, ein Ausflug zum Bazar, Shopping im Touristenbabel des Orients und Gaumenfreuden bei Vollpension. Gelegentlich mieteten wir uns
Weitere Kostenlose Bücher