Er war ein Mann Gottes
Unversehrtheit des Kinderkörpers. Er zerstört vor allem das Urvertrauen des Kindes in sich selbst und in die Liebe. Mag der Körper auch längst geheilt sein, die Seele eines missbrauchten Kindes leidet oft ein Leben lang.
In der psychologischen Therapie, zu der ich mich als junge Frau durchrang, lernte ich, dass ich das innere Kind in mir annehmen und mir selbst verzeihen müsse, um mich aus dem Albtraum des Missbrauchs zu befreien. Dieser Schritt gelang mir in der Therapie nicht. Ich begann mich erst im Zusammenhang mit der Arbeit an diesem Buch anzunehmen, als ich durch die intensive Rückkehr in die Vergangenheit alles nochmals durchlebte und dadurch bis zu einem gewissen Grad bewältigen konnte.
Wie sich im Laufe der anfangs noch ganz unverbindlichen Spurensuche mit Karin Jäckels Hilfe zeigte, bin ich im Bestreben, mein Schicksal zu meistern, vor allem eine Meisterin im Verdrängen geworden.
Nur anhand meiner Tagebücher, Korrespondenzen und Fotoalben sowie der Erinnerungen meiner besten Freundin Franziska konnte ich zusammen mit Karin Jäckel viele scheinbar vergessene Ereignisse und Details rekonstruieren.
Für mich wurde die Arbeit an der Stoffsammlung meines Lebens ein ganz besonderes, weil befreiendes Erlebnis. Dank meiner Tagesbücher konnten wir Tag für Tag meines Lebens als Missbrauchsopfer neu betrachten. Viele Briefe halfen dabei, meine Erfahrungen als junge Erwachsene und Geliebte eines ehemaligen Kindesmissbrauchers zu rekonstruieren und erstmals auch diese zu verstehen.
Durch das mir entgegengebrachte Verständnis, Mitgefühl und Vertrauen habe ich die Kraft gefunden, das Kind, das ich einmal war, in Ruhe anzusehen. Mehr noch, es endlich annehmen und verstehen zu können.
Ich musste mich nicht mehr schämen, musste »das mit dem Priester« nicht mehr tabuisieren, sondern durfte mich aus der Verbannung des Vergessenwollens erlösen, in die ich diesen Teil meines Selbst geschickt hatte.
Am Ende der Recherche gab es einen großen Stapel Datenträger mit Stunden über Stunden währenden Gesprächen, meine ausgewerteten Tagebücher, Aktenordner voll schriftlicher Dokumente, diverse Fotoalben und immer neue Erinnerungsblitze, die ich rasch niederschrieb und in mein aktuelles Tagebuch einfügte. All das habe ich Karin Jäckel anvertraut, damit sie die Ausbeute mit mir sichtet, ordnet, diskutiert und interpretiert. Ergänzende Informationen aus ihrem eigenen Wissensschatz und meine Reflexionen aus heutiger Sicht rundeten die Materialsammlung ab.
Verdrängtes wurde so mit lebendiger Erinnerung erfüllt. Ich finde mich in diesem Mosaikbild wieder und erkenne mich gleichzeitig zum ersten Mal. Seitdem fühle ich mich ganz. Trotz aller Risse und Narben auf der Seele.
Dass dieses Ganzheitsgefühl zart und zerbrechlich ist, erweist sich leider immer wieder. Es ist wie transplantierte Haut über Verbrennungen. Mit Vorsicht und viel Geduld kann man die Narben glätten. Doch sobald man in die Sonnenhitze tritt, schmerzt es aufs Neue.
Dass manche meiner Überlegungen aus heutiger Sicht für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wie Rechtfertigungen aussehen müssen, ist mir klar. Vom Kopf her weiß ich längst, dass ich keine Schuld daran habe, sexuell missbraucht worden zu sein. Sobald ich jedoch davon erzähle, habe ich sofort ganz intensive Angst, dass man mich missversteht, mir die Schuld gibt. Diese Angst ist so fest in mir verwurzelt, dass ich mir ständig wieder ins Gedächtnis rufen muss, dass es keinen Anlass zur Angst gibt. Dazu ist es notwendig, ganz genau zu verstehen, was passiert ist, und dafür Beweise zu finden. Deshalb habe ich gelesen und gelesen, mich und mein Leben an anderen Persönlichkeiten und deren Leben gespiegelt, mir Wissen angeeignet, eine Therapie gemacht. Überwunden habe ich die Angst noch immer nicht. Für mich bleibt die wissenschaftliche oder psychologische Erklärung dafür, warum ich zum Opfer wurde, immer nur eine Gehhilfe in einem Leben voller Ängste.
So hat mich auch die Angst begleitet, dass meine wahre Identität im Buch zu erkennen sein würde. Es war also für mich ganz wichtig, meine Identität sicher zu verbergen, ohne dass die Wahrheit hierunter leiden würde. Hierbei mussten natürlich Kompromisse gemacht werden. Einige Fakten würden unveröffentlicht bleiben, persönliche Daten mussten verändert, Namen erfunden werden. Wie hinter einer Schattenwand wollte ich auftreten, so dass ich sichtbar, aber nicht zu identifizieren sein würde.
Karin Jäckel hat
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