Erdbeerkönigin
Kopf hinweg mit. Er sagt: »Wir müssen uns keine Sorgen machen. Hubertus hat der Polizei Daniels Schreiben gegeben. Wenn ich es richtig verstehe, bist du nur eingeschränkt schuldfähig, weil der Wunsch des Verstorbenen den Ausschlag gibt. Gut, dass du Daniels Brief gleich an Hubertus weitergereicht hast.« Er kneift die Augen zusammen und zeigt auf den Bildschirm. »Guck mal, hier steht, dass auch als strafmindernd gilt, wenn es Angehörige gibt, die den Wunsch des Verstorbenen kannten und billigen – sowohl Alexandra als auch Hubertus haben das bezeugt.« Er unterbricht sich kurz. »Gute Freunde hast du da gefunden.« Nick lässt sich wieder auf den Hocker fallen. »Es ist sicher positiv aufgenommen worden, dass Stani die Urne beim Bestattungsunternehmen vor die Tür gestellt hat.«
Ich nicke und lese weiter. »Hubertus schreibt, dass Stani sogar einen Zettel in die Urne gelegt hat, mit einem Lageplan, wo die Asche verstreut worden ist.«
»Und die Geldstrafe?«
Ich scrolle in der Mail herunter. »Ja, tatsächlich: ein paar tausend Euro.«
Erschrocken ziehe ich die Luft ein. Gleichzeitig regt sich mein Widerspruchsgeist. »Wenn wir das Geld nicht aufbringen können, bleiben wir einfach hier. Oder du fährst erst einmal allein nach Hause, und ich jobbe hier am Strand.«
»Und deine Praxis?«
»Die muss warten. Wahrscheinlich werde ich dann der erste Patient!« Ich sehe meinen Mann kampflustig an. »Weißt du, Nick, ich würde es immer wieder tun. Geldstrafe hin oder her!«
»Ich wusste gar nicht, wie rebellisch du sein kannst.«
»Bevor ich Daniels Brief bekommen hatte, wusste ich das auch nicht.« Ich wende mich wieder dem Computer zu.
Wenig später kann ich Nick eine frohere Kunde überbringen. »Du kannst dich entspannen. Hubertus schreibt hier, dass Daniels Freunde die Kosten übernehmen. Sie haben zusammengelegt.«
Nick gibt mir einen leichten Stups. »Weißt du was? Ich finde, wir sollten auch etwas dazu beitragen.« Er greift nach meinen Hüften und zieht mich so zu sich herüber, dass ich auf seinem Schoß lande.
Der dicke Mann hinter dem Tresen am Eingang beobachtet uns interessiert.
Als ich auf den Stuhl zurückrutschen will, hält Nick mich fest. »Lass ihn doch gucken!« Er vergräbt seine Nase in meinem Nacken. »Ich möchte auf jeden Fall etwas zahlen. Weil Daniel mit seinem verrückten Plan dafür gesorgt hat, dass ich meine Erdbeerkönigin wiedergefunden habe.«
Ich lege meinen Kopf an seine Schulter. Wie viel ist zwischen dem Anlegen des Erdbeerbeetes und heute geschehen: Nick hat nicht nur seine Erdbeerkönigin wiedergefunden, sondern ich habe mich selbst und meine Liebe neu entdeckt. Laut sage ich: »Vielleicht sollte man allen Menschen raten, ihre Erdbeerbeete einmal kreisrund anzulegen!«
Nick lacht. Ich springe von seinem Schoß und werfe die Arme mit einer großen Geste in die Luft. Dann verkünde ich laut: »Liebe Mitmenschen! Wo immer ihr auch seid, legt eure Erdbeerbeete kreisrund an. Wenn ihr eine Idee habt, dann schickt sie auf den Weg. Und vergesst nicht, selbst mitzugehen!« Der dicke Mann glotzt. Nick grinst ihm frech zu. Dann zieht er mich in seine Arme.
Hochsommer an der Côte d’Azur: Die Luft im Internet-Café ist zum Schneiden. Der Schweiß läuft uns in kleinen Bächen am Körper hinunter. Die anderen Besucher sehen neugierig zu uns herüber. Aber uns ist das alles gleichgültig. Wir küssen uns. Verliebt, glücklich, erwartungsfroh.
PS
Noch eine wichtige Mail habe ich in jenem Tag in Südfrankreich bekommen. Mit dem Betreff »Termin freihalten!«. Der Text lautet: »Rockige Weihnachten: Julklap in der Seniorenresidenz! 1 . Advent um 16 . 00 Uhr Uhr im Café. Mit ›The Flöten Combo‹, featuring Stanislaw Fjodor Baschlakov. Musikalische Leitung: Dr. ›Red Shoe‹ Lenchen.«
M ein Dank gilt besonders:
… meinen wunderbaren Lektoren Timothy Sonderhüsken und Gisela Klemt: Ohne euch zu schreiben ist tatsächlich wie Anziehen im Dunkeln!
… dem Bacana Café: Best coffee in town & writer’s residence.
… meiner Familie und meinen Freunden, die mich immer wieder vom Schreibtisch weg ins Leben zerren.
Das Gedicht von Tennyson ist zitiert nach John Fowles, »Die Geliebte des französischen Leutnants«, übersetzt von Reinhard Federmann, List Taschenbuchverlag 2007 , S. 91 .
Das Gedicht »Sabbatmorgen auf See« von Elizabeth Barret-Browning stammt aus »Die Deutsche Gedichtebibliothek« und wurde von Bertram Kottmann
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