Erdbeerkönigin
des Märchens, die ich immer noch auswendig kann:
»Sie waren ein Stück des Weges gefahren, da hörte der Königssohn ein Krachen hinter sich, als ob etwas zerbrochen wäre. Er dreht sich um und rief: ›Heinrich, der Wagen bricht!‹ Der Diener antwortete: ›Nein, Herr, es ist der Wagen nicht. Es war das Band von meinem Herzen, das lag in größten Schmerzen, als der Königssohn im Brunnen saß, und ein verzauberter Froschkönig wart.‹«
In den frühen Morgenstunden des Tages, an dem Daniels Asche beigesetzt werden soll, reißen die Bänder auch von meinem Herzen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind synchronisiert. Endlich kann ich vor mir selbst zugeben, wie häufig ich in den vergangenen Jahren an Daniel gedacht habe. Wie oft ich mir die Frage gestellt habe, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn er sich bei mir gemeldet hätte und wir ein Liebespaar geworden wären. Endlich kann ich zugeben, dass ich mich sogar gefragt habe, ob ich nicht mit ihm glücklicher geworden wäre. Bei vielen kleinen Misserfolgen meines Lebens habe ich mich nach Daniel gesehnt. Nach dem Mann, den ich in meiner Phantasie unfehlbar gemacht hatte.
Doch das ist nun vorbei. Nicht, weil Daniel tot ist, sondern weil ich ihn endlich kennengelernt habe.
Ich stehe auf und gehe zurück zum Wohnzimmer. Als ich zum ersten Mal den Flur betrat, fühlte ich mich fast zu klein für diese Räume. Jetzt bin ich in sie hineingewachsen.
Ich schleiche am schlafenden Nick vorbei, setze mich auf den Balkon zur Straße und sehe der Stadt beim Aufwachen zu. Die Postkarte habe nicht wieder in den Rahmen zurückgesteckt. Im Morgenlicht lese ich, was ich selbst Daniel damals geschrieben habe.
In meiner runden Mädchenschrift steht dort:
Lieber Daniel! Na? Wie geht es Dir? Mir geht es gut. Hier auf dem Land ist es viel langweiliger als in Hamburg. Aber vielleicht kommst du ja trotzdem mal vorbei? Noch gibt es Erdbeeren! Oder ich besuche Dich wieder einmal und bringe welche mit. Ich bin schließlich Erdbeerkönigin und habe die besten Beziehungen. Schreibst Du mir? Viele Grüße, Eva
Kurze Zeit später gehe ich unter die Dusche. Dann rufe ich Hubertus an.
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21 . Kapitel
Nenne ein Ereignis, von dem Du rückblickend sagst: »Ich kann nicht glauben, dass ich davor Angst hatte!«
(Gesprächsstoff: Original)
Mittwoch, Tag 15
I ch bin bereits beim zweiten Kaffee, als Alissa reisefertig die Küche betritt. Ihr ist die Neugier anzumerken, als sie scheinbar beiläufig fragt: »Und, wie hast du geschlafen?«
Ich unterdrücke ein Gähnen und muss gleichzeitig lächeln.
»Ich verstehe schon. Du und dein Überraschungsgast habt euch wieder vertragen«, sagt sie und legt mir den Arm um die Schulter. »Sag ich doch.«
Als auch sie sich einen Kaffee eingegossen hat, fällt ihr Blick auf meine Schuhe. »So willst du also zur Beerdigung?«
Ich habe mich besonders sorgfältig angezogen. Seit vorhin weiß ich genau, was ich tragen werde. Daniels Smokinghemd und den dunklen Anzug, den ich für Mamas Beerdigung gekauft habe.
Meine silbrigweißen Laufschuhe mit den roten Streifen machen mir verständlicherweise Sorgen.
Stumm reiche ich Alissa Daniels Schreiben über den Tisch. Sie studiert die Zeilen mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann lässt sie das Schreiben sinken und schenkt mir eines ihrer Alles-wird-gut-Lächeln. »Besser kann man zu einer Trauerfeier nicht angezogen sein.«
»Trotz der Schuhe?«
Sie zupft am Kragen des Smokinghemds. »Dein Plan steht dir ja nicht auf der Stirn geschrieben. Die halten dich höchstens für ein bisschen exzentrisch.« Sie nimmt mich in den Arm. »Bist du sicher, dass du das tun willst?«
Ich sehe in ihre besorgten Augen. »Ja. Mir wäre allerdings viel wohler, wenn du dabei wärst.«
Alissa schüttelt bedauernd den Kopf. »Leider geht das nicht. Ich muss diese Übersetzung morgen abgeben.«
Schuldbewusst nicke ich. Immerhin hat Alissa alles stehen und liegen lassen, als mein Hilferuf sie erreichte. Jetzt muss sie unbedingt nach Hause.
»Ich werde dich auf jeden Fall im Gefängnis besuchen.« Sie droht mir mit dem Finger. »Daniel verlangt sehr viel von dir. Legal ist das nicht!«
Dann sieht sie auf die Uhr. »Ich muss los. Meine Mission hier ist beendet.« Sie zwinkert mir zu und steht auf. »Daniels Freunde habe dich nicht gefressen, Francesca ist handzahm geblieben, und wie es aussieht, bist du noch immer mit Nick zusammen und ihr könnt euch auf viele weitere Nächte und Tage freuen.«
Ich stehe
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