Das Geheimnis des Millionaers
1. KAPITEL
Diese Tageszeit genoss Adrienne am meisten – die ruhigen Stunden am frühen Morgen, wenn sie das Haus ganz für sich allein hatte. Bevor die Maler und Handwerker kamen, um Wildhurst Grange zu seiner alten Pracht zu verhelfen.
Dann wanderte sie mit Bedacht von Raum zu Raum, stieß die Fensterläden auf und zog die Vorhänge beiseite, um die fahle Spätsommersonne hereinzulassen. In Gedanken malte sie sich aus, wie sie und Piers als Ehepaar hier zusammen lebten. Bald schon war es so weit! Sie konnte es kaum erwarten, nicht mehr nur die Innenarchitektin, sondern die Hausherrin zu sein. Und Piers’ Frau.
Allein die Vorstellung raubte ihr den Atem. Noch immer konnte sie ihr Glück kaum fassen. Wie wunderbar sich doch alles in ihrem Leben gefügt hatte.
Vor Jahren hatten sie sich auf Wildhurst Grange kennengelernt. Damals war Piers zu ihrer Rettung geeilt, als sie in Schwierigkeiten steckte. Und jetzt hatte das Haus sie wieder zusammengebracht. Nach dem Tod seines Onkels Angus Stretton hatte Piers das heruntergekommene Anwesen geerbt und nach einem Innenarchitekten für die Restauration gesucht.
Bald wären die Arbeiten fertig, und sie und Piers könnten als Mann und Frau in dem Haus leben. Damit schloss sich der Kreis.
Adrienne bedauerte nur, dass Piers die Verwandlung ihres zukünftigen Heims nicht miterlebte, weil er gerade in Portugal arbeitete.
„Es tut mir ja auch leid, Liebling“, hatte er ihr an ihrem letzten gemeinsamen Abend gesagt. „Aber es geht nicht anders. Abgesehen von den Kosten für die Renovierung wird auch der Unterhalt von The Grange eine Menge kosten. Dafür muss ich das nötige Geld verdienen. Schließlich wollen wir uns doch nicht mit der zweiten Wahl zufriedengeben. Für meine schöne Frau will ich nur das Beste.“
„Wir könnten doch Schritt für Schritt vorgehen und zuerst die Räume renovieren, die wir auch benutzen“, widersprach sie.
Doch Piers wollte nichts davon hören.
Also schrieb Adrienne ihm jede Woche ausführlich über die Fortschritte der Arbeiten, schickte Farb- und Stoffmuster, und er rief regelmäßig an, oder sie bekam E-Mails und Faxe.
Und vermisste ihn fürchterlich.
„Wenn die Firma aufgebaut ist, werde ich dich nie wieder verlassen“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert. „Und stell dir nur vor, was für ein großartiges Aushängeschild The Grange für dein Können bedeutet. Du wirst dich vor Aufträgen nicht retten können, sobald wir hier die ersten Gesellschaften geben.“
Adrienne hatte gelacht und sich an ihn geschmiegt, in Gedanken schwor sie sich, dass Wildhurst Grange immer zuallererst ihr Zuhause wäre, ihre ganz private Zuflucht.
Außerdem wusste sie gar nicht, ob sie eine zusätzliche Flut von Aufträgen bewerkstelligen könnte. Schon vor dem Wiedersehen mit Piers lief ihr Geschäft gut. Eigentlich war es ein Zwei-Frau-Unternehmen, bestehend aus ihr als Designerin und Zelda March, einer sagenhaft fingerfertigen und brillanten Schneiderin. Seit Gründung der Firma herrschte bei „A-Z Design“ kein Mangel an Aufträgen.
Dabei gehörte ein eigenes Innenarchitekturbüro nicht zu ihren Zukunftsplänen, als sie ihre Ausbildung begann. Genauso wenig wie die Rückkehr in das stille kleine Städtchen auf dem Land. Doch als ihre Mutter vor drei Jahren plötzlich gestorben war, änderte sich für Adrienne vieles …
Adrienne verließ London und realisierte, dass sie nun ganz allein auf der Welt stand. Allerdings erbte sie Listow Cottage und erhielt eine größere Geldsumme aus der Lebensversicherung ihrer Mutter. Das verschaffte ihr eine gewisse Unabhängigkeit.
Dennoch hatte sie zu dem Zeitpunkt keine Pläne – bis sie auf der Beerdigung Zelda traf. Früher waren sie in dieselbe Klasse gegangen, allerdings ohne sich besonders gut zu kennen, da Zelda als ausgesprochen rebellisches Mädchen galt. Ständig geriet sie in Schwierigkeiten mit der Polizei, wegen unerlaubten Rauchens, öffentlichen Alkoholgenusses und weil sie mit den Dorfjungen herumlungerte. In der Abschlussklasse überraschte sie dann jeden, weil sie den ersten Preis im Handarbeitswettbewerb gewann. Kurz darauf, noch keine siebzehn, ließ sie sich mit dem Automechaniker im Dorf ein und wurde schwanger. Die hastig geschlossene Ehe ging ebenso schnell wieder in die Brüche.
Erstaunt, Zelda bei der Trauerfeier ihrer Mutter zu sehen, lud Adrienne die ehemalige Klassenkameradin ins Cottage ein.
„Ich mochte deine Mutter sehr“, sagte Zelda, nachdem die anderen Trauergäste
Weitere Kostenlose Bücher