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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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war ihr Fleisch.
    Erst als Iondai über den Schnee gerannt kam und ihren Namen rief, stand sie mühsam auf.
    „Er kommt!“ schrie der Seher und deutete den Hang hi n auf. „Er kommt! Schnell!“
    „Wer?“
    „Gorstein. Er ist uns gefolgt. Er lebt noch.“
    Sie rannte zum Grat und blickte auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. In der Ferne, vom treibenden Schnee verschleiert, sah sie den Mann herankommen. Er war zerlumpt und blutig, doch deswegen ging er keine s wegs langsamer. Sein rec h ter Arm hing steif herunter. Er spähte durch den Schnee, entdec k te schließlich Elspeth und setzte sich in Trab. Sekunden später klang sein Triumphg e schrei an ihr Ohr; sie fuhr herum und floh auf die ferne Höhle zu.
    Iondai stapfte hinterher und hielt mit ihr Schritt. Der fa l lende und der liegende Schnee dämpften ihr Stapfen und Keuchen; wortlos strebten sie der fernen Höhle zu. Elspeth hielt ihr mö r derisches Tempo; nicht einmal als sie es hinter sich krachen und knacken hörte und Iondai um Hilfe rief, verlangsamte sie ihren Schritt. Sie blickte nur über die Schulter und sah Go r stein unbeirrt durch den Schnee hinken. Er hatte ein Schwert und einen Speer, sein Gesicht war ma s kenhaft verzerrt vor Anstrengung, doch in seiner ganzen Haltung war etwas Triu m phierendes.
    Ohne sich um Iondai zu kümmern, rannte sie weiter. Sie würde es nie schaffen, das war ihr klar. Er hatte schon zu dicht aufg e schlossen, die Höhle war noch zu weit; und doch rannte sie vo r wärts, schmerzhaft brannte die bittere weiche Kälte in ihren Lu n gen.
    Als sie noch einmal zurückblickte, sah sie, daß Gorstein stehe n geblieben war. Er beugte sich über Iondai und zerrte ene r gisch an dem sich heftig wehrenden Seher. Sie konnte sich nur zu deutlich vorstellen, was er tat. Da schnitt auch schon Io n dais schriller Todesschrei durch den wirbelnden Schnee; doch dieser Schrei bestärkte sie nur noch mehr in ihrem Entschluß, die Höhle zu erreichen.
    Plötzlich hatte sie nackten Felsen unter den Füßen. Sie zöge r te kurz und spähte durch den weißen, wirbelnden Schleier auf den dunklen Schlund der Höhle, dann rannte sie mit einem Freude n schrei in den Bauch des Berges hinein, ihrem Ziel, dem Erdwind entgegen.
    Das Echo ihrer Stimme lief rund um die Höhle. Durch e i ne Felsformation hoch über ihrem Kopf fuhr der Wind mit jammernd schrillem Ton. Wasser tropfte herab. Die Höhle n decke wurde hinten rasch niedriger und bildete eine flache, gedrückte Nebe n höhle, die, soweit sie es in dem trüben Licht erkennen konnte, ins Finstere verlief.
    Aber sie war da! Endlich war sie da! In der Höhle, wo a l les angefangen hatte, wo, wie Iondai gesagt hatte, der Er d wind selbst wohnte und herrschte!
    Hohl und leer klang ihre Stimme. Widerhallend tropfte das Wa s ser unter dem Druck des schmelzenden Schnees herab und wurde auf dem glatten Boden rasch wieder zu Eis.
    Sie sah auf den Boden, auf die Wände mit den vielen zackig he r ausragenden Vorsprüngen und Leisten – überall suchte sie nach dem Symbol; sie öffnete dem Erdwind Geist und Sinne, wollte von ihm besessen sein, erweckt werden …
    Nichts!
    Verzweifelt schrie sie auf (rostige Wrackteile, die in einer Ecke lagen, bedeuteten jetzt gar nichts mehr; die gehörten ei n fach zu diesem Loch in der Erde).
    Nichts!
    Wieder schwankte ihr Denken auf jenem schmalen Grat zw i schen den beiden Abgründen, versuchte Gleichgewicht zu ha l ten vor dem endgültigen Sturz ins Dunkel. Mit einem verzwe i felten Schrei sank sie in die Knie, schlug die Hände an die O h ren, als könne sie sich damit gegen das Knacken und Kni r schen ihres zerfallenden Geistes taub machen …
     
     
    Ein Windstoß von hinten warf sie zu Boden, nicht bewuß t los, aber benommen, und sie leistete keinen Wide r stand, als eine grobe Hand ihren Arm packte und sie u m drehte. Sie starrte zu dem Manne hoch, atmete seinen G e ruch, sah die schlecht ve r bundene Brustwunde. Sie hielt ganz still, als er das Messer hob, nach ihrer Brust griff, den dünnen Stoff wegschnitt und zu lachen anfing, als die Klinge gegen Di a mant schabte …
    Schmerzen hatte sie nicht.
    Sie lag zusammengekrümmt in einer Ecke, tief im Innern der Höhle, und beobachtete ihn, wie er am Eingang seine Trophäen prüfend hochhielt, so daß sie vor dem lautlos fa l lenden Schnee glommen und glitzerten.
    Wenn sie ihn überhaupt sah, dann nur als Schatten unter anderen Schatten, denn nun war in ihrem Kopf nur noch Dunkelheit. Das Gewebe ihrer

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