Erdzauber 03 - Harfner im Wind
Feuer, als sähe er zu, wie die Flammen einen Traum zu Ende woben. Mit einer heftigen Bewegung wandte er sich dann ab, doch Morgon sah seine Augen. Sie waren schwarz und ausdruckslos wie die Augen seiner Toten, die von der Wahrheit bis auf die Knochen ausgehöhlt waren.
Im Zwielicht stand Morgon am Rande der Ebene der Winde unter den Bäumen und, wartete, während die Nacht langsam die verödete Stadt und das hohe, wispernde Gras in sich aufsog. Seit Stunden schon stand er hier, unbewegt, als hätte er Wurzeln geschlagen und wäre, ohne es selbst zu merken, zu einer kahlen, windgebeugten Eiche geworden. Der Himmel goß sternenloses Schwarz über der Welt aus, bis selbst für ihn, der im Dunkeln sehen konnte, die Edelsteinfarben des Turms von Finsternis durchdrungen zu sein schienen. Erst da rührte er sich, wurde sich wieder seines Körpers bewußt. Als er einen letzten Schritt auf den Turm zuging, teilten sich unerwartet die Wolken. Ein einziger Stern trieb durch die unergründliche Schwärze hinter ihnen.
Er stand am Fuß der Treppe und blickte aufwärts wie damals, als er an einem regnerischen Herbstnachmittag zwei Jahre zuvor den Turm das erste Mal erblickt hatte. Damals, fiel ihm jetzt ein, hatte er sich abgewandt, ohne Neugier zu spüren, ohne einen Drang, die endlosen Stufen hinaufzusteigen. Die Treppe war aus Gold, und die Legende sagte, daß sie sich vom Boden der Erde bis in alle Ewigkeit aufwärts wand.
Er senkte den Kopf, als kämpfte er gegen einen scharfen Wind an, und begann den Anstieg. Die Wände um ihn herum leuchteten in dem samtenen Schwarz, das zwischen den Sternen hing. Die goldenen Stufen wanden sich, in sanfter Steigung aufwärts führend, um das Herz des Turmes. Als er die Runde das erste Mal beendet hatte und die zweite begann, wich das Schwarz einem satten Rot. Die Winde, gewahrte er, sangen nicht mehr mit den dünnen, zornigen Stimmen des Tages; ihre Stimmen waren kraftvoll, sehnig. Die Stufen unter seinen Füßen schienen aus Elfenbein gehauen.
Er gewahrte, daß sich die Stimmen der Winde wiederum wandelten, als er die dritte Rundung erreichte. Töne schwangen in ihnen, zu denen er in der nördlichen Einöde auf seiner Harfe gespielt hatte, und seine Hände verlangten danach, ihren Gesang zu begleiten. Doch die Klänge der Harfe würden den Tod bringen, deshalb hielt er seine Hände still. Im vierten Ring schienen die Mauern aus massivem Gold und die Stufen aus Sternenfeuer gemeißelt. Endlos wanden sie sich aufwärts; die Ebene, die zerstörte Stadt entfernten sich weiter und weiter von ihm. Die Winde wurden kälter, während er stieg. Als er den neunten Ring erreichte, fragte er sich, ob er einen Berg erklomm. Der Gesang der Winde, die Stufen, die Wände um ihn herum waren klar wie, geschmolzener Schnee. Die Spiralen wurden enger und enger, und er glaubte, er müßte sich in der Nähe der Spitze befinden. Doch als er die nächste Windung erreichte, wurde er in gespenstische Finsternis gestürzt, als wären die Stufen aus Nachtwind geformt. Die Finsternis schien endlos, doch als er sie endlich hinter sich ließ, stand der Mond genau an der gleichen Stelle, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Weiter stieg er aufwärts. Die Wände schimmerten in einem wunderschönen Morgengrau; die Stufen glänzten zartrosa. Die Winde waren schneidend, erbarmungslos und tödlich. Sie rissen an ihm, bis seine eigene Gestalt zu zerfallen begann. Er stieg weiter, halb Mensch, halb Wind, und die Farben um ihn herum wandelten sich wieder und wieder, bis ihm klarwurde, wie anderen vor ihm klargeworden war, daß er bis in alle Ewigkeit durch ihr wechselndes Spiel wandern konnte.
Er blieb stehen. Die Stadt lag jetzt so tief unten, daß er sie in der Dunkelheit nicht mehr sehen konnte. Als er aufblickte, war ihm die Spitze des Turmes sehr nahe. Doch so nahe war sie, so schien es ihm, schon seit Stunden. Er fragte sich, ob er durch einen Traum wanderte, der seit Tausenden von Jahren inmitten dieser verödeten Mauern gestanden hatte. Dann erkannte er, daß es kein Traum war, sondern ein Trugbild, ein uraltes Rätsel, das an den Geist eines lebendigen Wesens geknüpft war, und daß er die Lösung dieses Rätsels ständig bei sich getragen hatte.
Leise sagte er: »Der Tod.«
Kap. 15
Hoch standen die Mauern um ihn, umschlossen ihn. Zwölf Fenster öffneten sich in mitternachtsblauem Stein den rastlosen, ewig klagenden Winden. Er fühlte eine Berührung und fuhr herum, vom Schrecken in seine natürliche Gestalt
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